Westsahara 1992 frei?

Der UNO-Friedensplan für die besetzte Westsahara ist perfekt/ Im Mai reist eine UNO-Mission in das Land, um ein Referendum zu organisieren  ■ Von Dominic Johnson

Die Chance für die Unabhängigkeit der seit 1975 von Marokko besetzten Westsahara ist in greifbare Nähe gerückt. Am Mittwoch gab der UN-Sicherheitsrat grünes Licht für die Organisation eines Referendums unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Eine formelle Abstimmung im Sicherheitsrat über den UNO-Friedensplan soll am Montag erfolgen.

Der Plan ist im wesentlichen identisch mit einem Vorschlag des UN- Generalsekretärs, der schon am 30. August 1988 „im Prinzip“ von Marokko und der sahrauischen Befreiungsfront Polisario akzeptiert wurde. Er sieht vor, eine UNO-Beobachtermission namens MINURSO zu entsenden. Sie soll einen Waffenstillstand zwischen der marokkanischen Armee und der sahrauischen Befreiungsfront überwachen sowie ein Referendum über den zukünftigen Status des Territoriums abhalten. „Das Volk der Westsahara wird frei und demokratisch wählen zwischen der Unabhängigkeit und der Integration nach Marokko“, heißt es in dem Vorschlag von 1988.

Stimmberechtigt sind „alle Sahrauis, die in dem 1974 von den spanischen Behörden organisierten Zensus genannt sind und 18 Jahre oder älter sind“. Das sind etwa 70.000 Menschen. Ausgeschlossen von der Stimmabgabe sind also die mehreren hunderttausend Marokkaner, die nach der Annexion des Gebietes durch Marokko in einer Reihe von „Grünen Märschen“ dort angesiedelt wurden.

Die MINURSO-Mission soll unverzüglich nach der Verabschiedung ihres Budgets durch die Vollversammlung der UNO beginnen — voraussichtlich Anfang Mai. Sie besteht aus zwei Etappen. In der ersten, die sechzehn Wochen dauern soll, wird die Identität der Stimmberechtigten vor Ort festgestellt. Danach, also etwa Ende August, soll ein formeller Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario in Kraft treten. Daran wird sich die zweite Etappe anschließen, mit einer vorgesehenen Dauer von 20 Wochen bis zum Referendum selbst — das demnach im Januar 1992 stattfinden soll.

In diesen zwanzig Wochen soll eine beiderseitige Truppenreduzierung vorgenommen werden. Das nach offiziellen Angaben 167.000 Mann starke marokkanische Kontingent wird auf 65.000 heruntergeführt. Dieser Rest sowie die etwa 10.000 Polisario-Guerilleros werden sodann von der MINURSO an einer Reihe von Orten untergebracht und überwacht. Desweiteren werden diejenigen Sahrauis unter den 70.000 Stimmberechtigten, welche nach der Besetzung des Landes durch Marokko ins Ausland flohen, in das Land zurückgeführt — eine Aufgabe, die das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR übernimmt. Anschließend läuft die Referendumskampagne unter Aufsicht der MINURSO. Nach Bekanntgeben der Referendumsergebnisse wird die MINURSO das Gebiet der Westsahara verlassen.

Sechzehn Jahre marokkanische Besetzung

Die Westsahara war lange eine spanische Kolonie, bis Marokko sie 1975 besetzte, um ihrer Unabhängigkeit zuvorzukommen. Ihr 266.000 Quadratkilometer großes Gebiet wurde 1976 zwischen Marokko und Mauretanien aufgeteilt. Viele Sahrauis flohen nach Algerien, das die Befreiungsfront Polisario unterstützte. Diese organisierte militärische Aktionen gegen die marokkanische Besetzung und rief in den algerischen Flüchtlingslagern am 27. Februar 1976 eine „Demokratische Arabische Republik Sahara“ aus, welche von der „Organisation Afrikanische Einheit“ (OAU) anerkannt wurde. 1979 gab Mauretanien sein Drittel des sahrauischen Territoriums an Marokko ab. Die Annexion des Gebiets durch Marokko wurde völkerrechtlich nie anerkannt.

1983 beschloß die OAU, daß ein Referendum über die Zukunft der Westsahara entscheiden sollte. Im Jahr danach trat Marokko aus Protest aus der OAU aus. Die UNO-Vollversammlung schloß sich 1985 den Vorstellungen der OAU an.

Erste Geheimverhandlungen zwischen Marokko und der Polisario im Jahre 1983 waren ergebnislos geblieben. Erst nachdem am 16. Mai 1988 die diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Algerien wieder aufgenommen wurden, kam Bewegung in den Konflikt. UNO- Generalsekretär Perez de Cuellar erreichte am 30. August die Akzeptanz beider Seiten für einen Friedensplan, der jetzt endlich in Kraft tritt.

Warum dafür noch einmal zweieinhalb Jahre verstreichen mußten, hat verschiedene Ursachen. Militärische Offensiven der Polisario dienten immer wieder zum Vorwand für die marokkanische Seite, sich gegen eine Weiterführung des Friedensprozesses zu sperren. Lange Zeit lähmte die Frage, wie die Volkszählungsliste von 1974 in eine Wahlliste umgearbeitet werden könnte, jeden Fortschritt: die Mehrzahl der registrierten Saharauis lebt mittlerweile in algerischen Flüchtlingslagern, manche sitzen in marokkanischen Gefängnissen. Andere Streitpunkte betrafen die Rolle der marokkanischen Armee in der Übergangsphase und die Frage, wie ein fairer Referendumswahlkampf gewährleistet werden könnte. Am 27.Juni 1990 endlich konnte ein konkreter Plan vom UNO-Sicherheitsrat gebilligt werden. Am 30. Juli 1990 reiste eine UN-Kommission zu ersten Sondierungen in die Westsahara.

Doch dann brach die Golfkrise aus, und das Thema Westsahara verschwand vorübergehend von der Tagesordnung. Im Februar dieses Jahres schließlich konnte Perez de Cuellar dem Sicherheitsrat berichten, daß alle noch strittigen Fragen — hauptsächlich über den genauen Zeitplan der Organisierung des Referendums und die Dauer des MINURSO-Mandats — gelöst seien und der Plan in Kraft treten könne.

Die seitherige Verzögerung von zwei Monaten hat vor allem finanzielle Gründe. Die zuerst anvisierte Summe von 300 Millionen Dollar für die 2.000 Mann starke MINURSO erschien den UN-Sicherheitsratsmitgliedern als zu hoch. Bis heute sind die Kosten auf etwa 200 Millionen Dollar heruntergehandelt worden. Nach britischem Drängen wurde außerdem die Rückführung stimmberechtigter Flüchtlinge zu einer auf freiwilliger Basis zu finanzierenden „humanitären Operation“ umdefiniert und somit aus dem MINURSO- Haushalt ausgeklammert.