Die Ordnung und das Gespenst des Krieges

In der nordirakischen Kurdenstadt Zakho herrschen noch immer die Republikanischen Garden/ Schulkinder in Uniformen vermitteln den Schein einer zerstörten Normalität/ Vor der Stadt stehen ratlose niederländische und US-Soldaten  ■ Aus Zakho Ömer Erzeren

Es ist stockdunkel. Nur die Flamme des Feuerzeugs verschafft ab und zu etwas Licht im Zimmer. Die Gardinen sind heruntergerissen. Papierfetzen, zerrissene Decken und Matratzen liegen auf dem verdreckten Boden. Irgendwo in der Nähe schreit jemand. Dann herrscht wieder Stille im Hotel „Bagdad“ in der kurdischen Stadt Zakho im Nordirak. Der Eigentümer ist zusammen mit weiteren Zehntausenden Einwohnern geflüchtet.

Hin und wieder unterbricht der Motorenlärm von Hubschraubern oder Flugzeugen die Nacht, wenn Piloten der multinationalen Truppen die Stadt überfliegen. Oder uniformierte irakische Polizisten dringen mit Kalaschnikoffs ins Hotel ein, um nach den sechs Journalisten zu schauen. „Die Gesetzlosen sind immer noch in den Bergen. Treibt euch nicht auf der Straße rum“, faucht einer der Polizisten, als wir versuchen, das Hotel zu verlassen. Ihr Zentrum ist das Polizeipräsidium von Zakho, 50 Meter vom Hotel entfernt.

Zakho ist eine entvölkerte, gespenstische Stadt. Kein Strom, kein Wasser, keine geöffneten Geschäfte. Nur ein paar tausend der einst rund 100.000 Einwohner Zakhos sind geblieben. Sie haben Angst. Angst vor den Polizisten, die auch tagsüber die Straßen beherrschen. Auf einen Zivilisten kommt ein Uniformierter mit Kalaschnikoff.

„Nachdem er den Amerikanern versprochen hat, die Soldaten aus Zakho abzuziehen, hat Saddam eben die Soldaten als Polizisten verkleidet“, klagt ein Mann. Es sind Angehörige der berüchtigten Republikanischen Garde, die als Polizisten von Mossul nach Zakho verlegt wurden. Die Menschen auf der Straße meiden ängstlich den Kontakt mit Journalisten.

Morgens vermitteln Schülerinnen in weißen Hemden und grauen Schuluniformen den Eindruck von Normalität. Aber in Zakho gibt es nur noch ein paar hundert Schüler. Vor drei Tagen hat eine Schule geöffnet. Als erste haben irakische Polizisten dort einen Besuch abgestattet, um eine Order zu überbringen. Im Vorhof der Schule ist die Ausführung des Befehls zu besichtigen: zwei große Saddam-Porträts.

Wenn Soldaten der multinationalen Truppen und bewaffnete Iraker aufeinandertreffen, gibt es feindselige Gesten. Doch es herrscht angespannte Ruhe — Koexistenz. So auch in der riesigen irakischen Grenzanlage Habur an der türkischen Grenze. Eine Gruppe irakischer Grenzposten langweilt sich vor einer Grenzbaracke. Sie bieten den Journalisten Datteln an. In bedrohlicher militärischer Haltung, Maschinenpistolen im Anschlag, nähert sich ein Trupp von mehreren Dutzend Holländern. Ein irakischer Grenzpolizist ergreift ebenfalls seine Maschinenpistole. Auf unsere Frage, was vorgeht, antwortet der kommandierende Holländer in strengem Ton: „Wir stellen hier Sicherheit her.“ „Warum richtet ihr eure Waffen auf uns?“, fragt der irakische Grenzposten. Er erhält keine Antwort. Nach wenigen Minuten ziehen die Holländer weiter.

In Zakho weiß keiner der kurdischen Einwohner, wer eigentlich die politische Kontrolle hat: Die Alliierten, die die Stadt überfliegen, oder die irakische Polzei. Zwar haben die USA die bewaffneten Iraker ultimativ zum Verlassen der Stadt aufgefordert. Aber eine Frist haben sie nicht gesetzt.

Ins Flüchtlingslager, das die USA zur Rückführung der kurdischen Flüchtlinge wenige Kilometer von Zakho entfernt aufgebaut haben, werden Journalisten vom türkischen Silopi aus per Hubschrauber eingeflogen: ein Weizenfeld in der Ebene, auf der ein Bilderbuch-Zeltlager errichtet wurde. 480 blaue Campingzelte, groß genug für je sechs Personen, stehen bereits. Vor allem Kurden, die aus Zakho in die Türkei geflüchtet sind, sollen vorerst hier untergebracht werden. Ihre Häuser liegen nur wenige Kilomter entfernt.

Langfristig sollen die Flüchtlinge wohl auch wieder dorthin zurückkehren. „Wir wollen ihnen durch das Lager zuerst einmal das Gefühl von Sicherheit verschaffen“, sagt ein US-Offizier. Wie das Gefühl von Sicherheit vermittelt werden soll, solange demonstrativ die irakische Polizei patrouilliert, bleibt offen.

Eine Delegation von Guerilleros der Demokratischen Partei Kurdistans, die teilweise immer noch in den Bergen gegen irakische Verbände kämpfen, hat sich auf dem Weizenfeld neben einem US-Militärzelt niedergelassen. Sie sind mit ihren Waffen in die Ebene hinabgestiegen, um sich hier mit den US-Militärs zu treffen. Koexistenz auch hier. Ein Peschmerga erläutert einem schwarzen US-Soldaten die technische Beschaffenheit seiner Kalaschnikoff, der US-Soldat rühmt seine M-16. Andere Peschmerga plaudern mit Journalisten. „Unter den jetzigen Bedingungen geht niemand nach Zakho zurück“, sagt Said, der Älteste unter den Männern.

„Wie sieht es in Zakho aus? Sind Saddams bewaffnete Horden immer noch da?“, fragen uns kurdische Flüchtlinge tags darauf im Flüchtlingslager Silopi in der Türkei. Unter den Flüchtlingen hier herrscht Mißtrauen, nachdem bekannt wurde, daß sich der Kurdenführer Talabani in Geheimgesprächen mit Saddam Hussein auf einen Autonomieplan für Irakisch-Kurdistan verständigt hat. „Auch wenn sie sich geeinigt haben, müssen die Amerikaner dort bleiben. Sonst können wir nicht zurück nach Hause“, sagt Abdulkerim Yussuf. „Saddam hat uns schon mehrfach das Blaue vom Himmel versprochen und dann seine Waffen auf uns gerichtet.“

Bei den meisten kurdischen Stämmen ist das Vertrauen auf Talabani und Barzani trotz der Katastrophe vor einem Monat ungebrochen. Doch es gibt auch kritische Stimmen. „Diese Männer haben uns bereits 1975 und 1988 in die Niederlage geführt. Sie sind ehrlos. Irgendwann sind die Amerikaner weg. Nur eine starke kurdische Armee könnte tatsächlich garantieren, daß Saddam nicht wieder ein Massaker inszeniert“, sagt Rechtsanwalt Ziyad Isa.

Doch er hat den Glauben an irgendeine politische Lösung für sein Volk ohne Staat verloren. Irgendwo in Europa versucht er für sich und seine Familie Asyl zu erhalten, um seine eigene Haut zu retten. Denn: „Das Volk der Kurden hat keine Zukunft.“