„Betroffen“ in Tschernobyls Schatten

■ Fünf Jahre nach dem Reaktorunglück leiden Politiker immer noch unter ihrer Glaubwürdigkeitslücke

Berlin (taz) — Eine radioaktive Wolke schien an diesem eigentlich strahlend blauen Tag über Deutschland zu hängen. Pflichtübung mochte so mancheR denken, als Bundesumweltminister Klaus Töpfer am Morgen in Bonn sieben Millionen für 14 Meßstationen in der Russischen Republik ankündigte. Auf der gleichen Linie der Beschluß der Bundestagsaußenpolitiker, Kinderferien für ukrainische Kinder von der Bundesregierung zu fordern. Bemerkenswerter schon Töpfers berechtigte Sorge um die Sicherheit der osteuropäischen AKWs sowjetischer Bauart. Ohne deutsche AKWs verlören aber die Deutschen den Einfluß auf die internationalen Sicherheitsstandards, so die krude Logik des Ministers. Warum nur konnte er sich nicht verkneifen, West-Atomstrom als Ersatz anzubieten. Der Bundestag versammelte sich zu einer aktuellen Stunde zum Thema. Die hessischen Grünen und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) nahm den Jahrestag zum Anlaß, noch einmal den Ausstieg aus der Atomkraft zu fordern. Georg Löser vom BUND geißelte die bisherige Untätigkeit der sowjetischen Verantwortlichen als „nuklearen Völkermord“.

In Hannover kündigte Umweltministerin Griefahn an, aus dem Atomgesetz ein Abwicklungsgesetz für die Atomkraft machen zu wollen. Unterdessen sind sich kritische Wissenschaftler und Regierungsforscher einig, daß Tschernobyl auch in der Bundesrepublik einige Todesopfer fordern wird. Selbst Heinz-Jörg Haury vor der regierungsnahen Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung besteht darauf, daß das Krebsrisiko zwar gering, aber vorhanden sei. In Bayern sei die Krebshäufigkeit für Kinder um bis zu 0,3 Promille gestiegen — rein rechnerisch sterben damit zwei bayrische Kinder mehr an Leukämie bis zur Jahrtausenwende. Südlich der Donau hat die Bevölkerung vielleicht sogar zwei Jahresdosen zusätzlich abbekommen, wußten Töpfers Experten.