Verwesung und Delikatessen

■ Die Kabarettisten Mensching & Wenzel, Sonntag, 0.15 Uhr, RTL plus

Vor dem Mauerfall waren die beiden Kabarettisten Steffan Mensching und Hans Eckhardt Wenzel nur Intimkennern der ostdeutschen Kleinkunstszene ein Begriff. Mit einem der letzten Defa-Filme, Letztes aus der Da Da Er, unter der Regie Jörg Foths, machten sie erstmals im Westen auf sich aufmerksam. Als Meh und Weh zogen sie dort als traurige Clowns durch einen verfallenen Arbeiter- und Bauernstaat.

Mit dem Abgesang auf die Deutsche Demokratische Republik aber ist es dem Duo nicht getan. Nach der Wiedervereinigung gab und gibt es erst recht Stoff in Hülle und Fülle für ihre eigene Art der satirischen Aufarbeitung. Mit der üblichen kabarettistischen Nummernrevue haben Mensching und Wenzel allerdings wenig gemein. Der eine ist groß, kompakt und weiß gekleidet, die langen Haare zwängt er unter eine rot- weiße Badekappe und schminkt sich den Mund zu einem breiten, optimistischen Lächeln, während die Augen traurig in die Ferne blicken; der andere ist klein, schwarz gekleidet und einer Vogelscheuche nicht unähnlich, er wirkt skrupulös und scheu. Das weißgeschminkte Gesicht steht in Kontrast zur dunklen Kleidung; das rechte Auge ist blau — nicht naiv blauäugig, sondern blau geschlagen.

Sie schleppen, der Kleine auf dem Großen reitend, diverse Utensilien und Musikinstrumente auf die ansonsten karge Bühne. Musik ist neben der Pantomime eines der Hauptelemente ihres Auftritts, sie kommentiert die Texte, leitet über, ist Anlaß für komische Einlagen. All das unterwirft sich allerdings der Sprache, die sich Mensching und Wenzel in einer Art zu eigen machen, die nicht immer auf Anhieb zu deuten ist und darum gern vorschnell als skurril verharmlost wird. Die beiden Autoren, die bereits mehrere Gedichtbände veröffentlicht haben, bedienen sich nicht einmal einer besonders abgehobenen, literarischen Sprache, sondern pflücken alltägliche Slogans, Redewendungen, Floskeln und Klischees aus dem geläufigen Sprachbrei und montieren sie zu einer eigenen Form der Poesie, die in der Tradition der Dadaisten und der Klassiker des absurden Theaters steht. Kaos in der Da Da Er lautet der Titel ihres Programms, das angesiedelt ist zwischen „Verwesung und Delikatessen“, in dem sie erzählen von jenem seltsamen Geruch, „wie ein Gespenst verfault in Europa, ein stark parfümiertes zudem...“

Unter dem Stichwort „Absurdes Brettl“ präsentiert „Kanal 4“ in der Reihe „90 Jahre Satire gegen den Zeitgeist“ die Aufzeichnung eines Auftritts der beiden Ostberliner „Dadarettisten“. Angesichts der begeisterten Reaktionen des Publikums zeigten sich die RTL-Programmverantwortlichen flexibel und bewilligten dreißig Minuten mehr Sendezeit für die ambitionierten Kanalarbeiter und eine entsprechende Verlängerung des Live-Mitschnitts, der allerdings wegen einer aktuellen Sportübertragung erst um 0.15 Uhr gesendet wird. Harald Keller