Die ganze Wahrheit später?

■ Pressezensur im Golfkrieg: Eine Chronologie aus den Reports von „Article 19“

Ägypten

18. Januar — Der 'Mideast Mirror‘ berichtet, daß die Übertragungen des amerikanischen Senders CNN dreimal täglich für insgesamt vier Stunden unterbrochen werden, damit die Bürger des Landes auch ägyptische Sender einschalten.

25. Januar — Der stellvertretende Generalsekretär der oppositionellen Sozialistischen Arbeiterpartei, Magdi Hussein, wird verhaftet; Hussein ist außerdem zweiter Herausgeber der Wochenzeitung 'al-Shaab‘, Mitglied der ägyptischen Organisation für Menschenrechte und war früher Parlamentsabgeordneter. Am 29.Januar wird er angeklagt, „Flugblätter gegen den Golfkrieg publiziert und verteilt“ zu haben; nach seinem Erscheinen vor Gericht bleibt er „für weitere Verhöre“ inhaftiert. Nach seiner Entlassung am 18.Februar wird Hussein observiert. Ebenfalls verhaftet wurde Abdel Latif; ihm wirft man vor, in einer Zeitung eine Anzeige veröffentlicht zu haben, die gegen den Krieg Stellung nimmt und von mehreren Gewerkschaftsvertretern unterschrieben war. Latif wird am 6.Februar entlassen, nachdem er, wie in der Presse verlautete, gefoltert worden war.

7. Feburar — Adel el-Mashaad, Mitglied der ägyptischen Organisation für Menschenrechte und des „Komitees für die Verteidigung der nationalen Kultur“, wird wegen seiner Antikriegshaltung verhaftet, die er bei einem Treffen des „Komitees“ öffentlich gemacht hatte. Die Anklage erfolgt am 7.Februar wegen „Besitzes von Antikriegs-Flugblättern“ — was seit Beginn des Krieges als strafbare Handlung gilt — und wegen „Aufrufs zum Haß auf die ägyptische Regierung“ und „Beleidigung der ägyptischen Streitkräfte an der Front“. Am 17.März wird el- Mashaad freigelassen, nachdem die Vorwürfe gegen ihn fallengelassen wurden.

— amnesty international wird gemeldet, daß mindestens elf Studenten der Ain Shams Universität von Kairo wegen angeblicher Vorbereitung zum Druck von Antikriegs-Flugblättern verhaftet worden sind.

— Mohamed Amer, verantwortlicher Redakteur der Wochenzeitung 'al-Haqiqah‘, Adel Hussein, verantwortlicher Redakteur der Wochenzeitung 'al-Shaab‘ und Hoda Mekawi, ein Journalist von 'al-Shaab‘, erscheinen vor einem Militärgericht. Sie sollen „als geheim klassifizierte Militärinformationen über amerikanische Militäranlagen in Ägypten publiziert“ haben. Auch Mahamoud Bakry von 'al-Shaab‘ wird vom Staatsanwalt des Militärs mit diesem Vorwurf konfrontiert.

8. Februar — Aufgrund ihrer öffentlichen Stellungnahmen gegen den Krieg werden Dr. Mohame Mandour, Leiter der psychiatrischen Abteilung des palästinensischen Roten Halbmonds in Kairo, und Dr. Emad Atrees verhaftet. Dr. Mandour muß während seiner Haft schwere Folterungen erdulden und wird am 23.Februar ohne Anklageerhebung freigelassen. Dr. Atrees ist weiterhin in Haft.

21. Februar — Die ägyptische Menschenrechtsorganisation meldet, daß der Lehrer Mohamed Abdel Fateh und der Student Sameh Said wegen des Besitzes von Antikriegs-Flugblättern verhaftet und 15 Tage festgehalten wurden. Berichten zufolge wurden sie während ihrer Haft gefoltert.

27. Februar — Offenbar aufgrund einer öffentlichen Rede vor Studenten an der Universität von Kairo am 24. des Monats wird der Journalist Hamdain Sabahi verhaftet; auch er soll während seiner Haft gefoltert worden sein.

Algerien

19./20. Januar — Ohne Angabe von Gründen werden sämtliche ausländischen Korrespondenten, die erst vor kurzem eingereist waren, um über die Antikriegsdemonstrationen im Lande zu berichten, außer Landes gewiesen.

2. März — Das Außenministerium entzieht dem Algerien-Korrespondenten der französischen Tageszeitung 'Le Monde‘ die Akkreditierung. Georges Marion hatte in einem Artikel Gerüchte wiedergegeben, denen zufolge der irakische Präsident Saddam Hussein um politisches Asyl in Algerien ersucht habe.

Frankreich

10. Januar — Die Medien des Landes unterzeichnen ein vom französischen Verteidigungsministerium vorgelegtes Abkommen über die Restriktion der Berichterstattung im Falle eines Krieges im Golf. Diese Übereinkunft enthält folgende Punkte: 1. Alle Kriegskorrespondenten werden durch den „Service d'Information et de Relations Publiques des Armes“ (Sirpa; Öffentlichkeitsabteilung der Armee) akkreditiert. 2. Sie agieren in „Pools“, zugewiesenen Gruppen, die von einem Presseoffizier begleitet und überwacht werden. 3. Das Militär verpflichtet sich, Nachrichten „so weit wie möglich“ zugänglich zu machen, unter der Bedingung, daß die Journalisten weder die „Sicherheitsbedürfnisse der Truppe“ noch die „Menschenwürde“ verletzen.

14. Januar — „La Cinq“ sendet ein Interview mit einem französischen Korporal, der für die Wartung von Hubschraubern zuständig ist; darin kritisiert er die Qualität des Materials und der Ersatzteile. Der französische Rundfunkrat protestiert, und der interviewende Journalist wird von seinem Vorgesetzten nach Paris zurückbeordert.

15. Januar — Von diesem Tag an dürfen französische Journalisten gemeine Soldaten nur noch durch ihre Einheitskommandanten interviewen.

17. Januar — Die Übereinkunft zwischen Armee und Medien wird genauer spezifiziert; unter anderem akzeptieren die Medienvertreter, daß nichts berichtet werden darf, was „gewalttätige Reaktionen der Einwanderer in Frankreich provozieren“ könnte. In Saudi-Arabien sind jetzt 100 französische Journalisten akkreditiert.

22. Januar — Das Innenministerium ordnet die Ausweisung von Samir Khairi Tawfiq an, dem Direktor und verantwortlichen Redakteur der in Paris ansässigen Tageszeitung 'Kol al-Arab‘.

22. Januar — „La Cinq“ überträgt einen Bericht aus Saudi-Arabien, gefilmt von ihrem außerhalb des Pools operierenden Team, der die Annäherung französischer Truppen an die kuwaitische Grenze zeigt und angeblich den genauen Standort der Truppen verrät. Drei Tage später läßt Premierminister Rochard den Generaldirektor von „La Cinq“ und den Informationsverantwortlichen zu sich bitten; er fordert sie zu einer Erklärung über diesen Vorfall auf und spricht eine Verwarnung aus. Der verantwortliche Journalist, Patrice Duterte, wird vom Generaldirektor sofort nach Paris zurückbeordert.

26. Januar — Das Innenministerium verbietet Publikation, Zirkulation und Verkauf der in London erscheinenden Tageszeitung 'al-Arab‘, der Monatszeitschrift 'al-Dustur‘ und der Tageszeitung 'Kol al-Arab‘ in Frankreich. Die Publikationen werden verboten, weil „ihr Charakter die öffentliche Ordnung beeinträchtigen“ könnte und weil sie Interessen vertreten, „die denen Frankreichs entgegengesetzt sind“.

9. Februar — Das Filmteam des Fernsehsenders FR3 wird von US- Soldaten verhaftet, weil es in der Nähe der saudi-arabisch-kuwaitischen Grenze ohne Erlaubnis gefilmt hat. Es heißt, die US-Armee habe von den saudischen Behörden verlangt, dem Team die Akkreditierung zu entziehen und sie des Landes zu verweisen, da sie versucht hätten, amerikanische Soldaten ohne Wissen der Militärbehörde zu interviewen. Nach Gesprächen zwischen dem verantwortlichen Presseoffizier der französischen Truppen, den US- Verantwortlichen und Vertretern Saudi-Arabiens darf das Team bleiben. Französische Reporter hatten sich bereits vorher beschwert, daß sie keinerlei Zugang zum US-Pool hatten.

18. Februar — Die Sender Antenne2, TF-1, FR3 und La Cinq „bestreiken“ die Kriegsberichterstattung für einen Tag, akzeptieren dann jedoch den Kompromiß beziehungsweise die Anordnung des Verteidigungsministers, daß von jetzt an eine Gruppe von zehn Journalisten rund um die Uhr französische Truppen begleiten dürfe.

20. Februar — Die 'France-Soir‘- Korrespondentin, Marie-Claude Dubin, wird vom Pool ausgeschlossen, der eine Nacht an der Front zubringen soll. General Gazeau meint dazu, die Anwesenheit einer Frau könne Soldaten nicht zugemutet werden, die seit fünf Monaten in der Wüste leben.

Großbritannien

Das britische Verteidigungsministerium aktivierte im wesentlichen die Kontrollmechanismen gegenüber der Presse, die bereits im Falklandkrieg in Kraft waren. Dazu gehörte die strikte Auswahl zugelassener Reporter durch das Militär, ihre Organisation im Poolsystem, „Richtlinien“ für die Redaktionen (die diesen Richtlinien bereits im Falklandkrieg sklavisch gefolgt waren!) und eigene Pressekonferenzen, die das Presseoffizier-Corps als einzig verläßliche Nachrichtenquelle zu etablieren suchen.

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