QUERSPALTE
: First Lady Helmut

■ Kohl absolviert im Osten das Damenprogramm: Kinder, Kirche, Krankenhaus

Ja, warum denn auch nicht? Warum sollte nicht auch ein Kanzler lernfähig sein und endlich, endlich Ernst machen mit dem geschlechtsspezifischen Rollentausch? Wenn Frauen zunehmend in Männerberufe drängen, wer, bitte schön, will dem Mann Helmut Kohl das gute Recht absprechen, für ein paar Stunden Frau sein zu wollen? First Lady zum Beispiel — in Leipzig, dieser für einen Kanzler inzwischen so ungastlichen Stadt, wo die Menschen so richtig garstig werden, wenn von Kohl die Rede ist. Da begibt sich der Kanzler auch bei seinem zweiten Besuch im wilden Osten nur allzu gern in die Sphäre des Weiblichen — die schützt vor mancherlei Unbill und auch vor Verantwortung, dieser lästigen.

Wie schon in Erfurt steht nun auch beim Kanzlerbesuch in Leipzig das durch und durch Mitmenschliche, das Soziale an sich auf dem Programm. Was normalerweise zum Damenprogramm einer jeden pflichtbewußten Präsidentengattin oder Monarchin gehört, hier absolviert es der Kanzler höchstpersönlich mit der ihm eigenen Inbrunst und Grazie.

War es etwa nicht immer schon sein vornehmstes politisches Anliegen, alten Mütterlein am Krankenbett Trost zu spenden? Behinderten Kindern über den Kopf zu streichen? Sein Ohr zu leihen den Pflegern und Pfarrern, die über Elend und Not, aber auch über viel Aufopferndes zu berichten wissen? Und so beugt der Kanzler — im gehörigen Kondolenzabstand zur jüngst dahingegangenen Montagsdemonstration — die Knie und faltet die Hände zu ganz persönlicher Andacht und Bitte um Vergebung für „all unsere Sünden“. Das alles geschieht ganz bescheiden vor laufenden Fernsehkameras. Die Menschen „draußen im Lande“, auch die im östlichen, sie werden die Gesten schon richtig deuten.

Da braucht die Bild-Zeitung gar nicht so besorgt richtigzustellen, der Eindruck, der Kanzler sei eine Memme, sei ein „fälschlicher“. In Wirklichkeit nämlich, so weiß Bild-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß, ist Helmut Kohl extrem „gut drauf“ und — ganz und gar Mann — „mit einem Schuß kämpferischer Lust“ ausgestattet. Daß er das Bad in der ostdeutschen Menge konsequent scheut, wer würde das allen Ernstes behaupten wollen! Hat er doch diesen Genuß gnädigerweise einer Frau überlassen wollen: der Königin Beatrix aus den Niederlanden. Vera Gaserow