Privatinitiative geht in Rumänien nicht

Auch im ungarischen Teil des rumänischen Vielvölkerstaates, der als besonders reich gilt, werden immer mehr Menschen arbeitslos/ Unterstützung vom Staat gibt es nicht, und wer es mit einer Geschäftsgründung versucht, muß bald aufgeben  ■ Aus Harhgita Roland Hofwiler

Die Kreisstadt Miercurea Ciuc zählt zu den reichsten Städten Rumäniens. Der Harhgita-Landkreis erwirtschaftet das höchste Bruttosozialprodukt pro Kopf, so sagt es zumindest die Statistik, reich an Bodenschätzen wie Erzen ist er. Wegen der vielseitigen Nutzung landwirtschaftlichen Bodens kann sich auch die Infrastruktur (für rumänische Verhältnisse) sehen lassen. Miercurea- Ciuc, zu deutsch Mittwochsmarkt, war schon im Mittelalter ein bekanntes Handelszentrum. Auch jetzt erwache sie, knapp eineinhalb Jahre nach Ceausescus Sturz zu „neuer Blüte“. So erzählt man es uns zumindest im Bürgermeisteramt, nicht ohne Stolz: „Wir Ungarn sind eben fleißige Leute.“ Das soll heißen, fleißiger als die Rumänen, die es noch schwerer packen, von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu finden. Da ist man eben weiter in Miercurea-Ciuc, das wird einem auch in den Wirtschaftsministerien in Bukarest bescheinigt. Dort weiß man, Siebenbürgen, dem „europäischsten“ Teil Rumäniens, das über Jahrhunderte freies Fürstentum oder Teil der K.u.k.-Monarchie war, werde am leichtesten den Anschluß an die modernen Entwicklungen des alten Kontinents finden. Der Harhgita-Landkreis im besonderen. Da stellt sich auch nicht das Problem der Abwanderung, die Ungarn dort wollen bleiben, sie wollen nicht gen Ungarn wie wie die Siebenbürger Sachsen nach Deutschland ziehen, ganze Dörfer ihrem Schicksal überlassend. Im Traktorenwerk „Tractorul“, im „Bjat“-Motorenwerk und dem Bekleidungskonzern „Arta Harghitei“ setzte man, um marktgerechte Strukturmaßnahmen durchzusetzen, bereits mehrere Tausend Arbeiter vor die Tür. Genaue Zahlen nennt man nicht und wie überall im Lande umschreibt man das neue Phänomen Arbeitslosigkeit: Die offizielle Statistik spricht von „verfügbaren Arbeitskräften zum Aufbau marktwirtschaftlich orientierter Betriebe.“ Harghita führt zusammen mit Cluj (Klausenburg) und Bukarest an „verfügbaren Arbeitskräften“, weiß das Oppositionsblatt 'Romania libera‘ zu berichten. Ihre Zahl liege jeweils „über Zehntausend“, das hätte man noch von der Regierung erfahren dürfen, deren letzte Arbeitslosenstatistik, datiert vom 9. April, lediglich von 31.262 erwerbslosen Personen in ganz Rumänien spricht.

Aber über Statistiken hat man in dem Balkanstaat noch nie etwas in Erfahrung bringen können. Mit einer Ausnahme: Der Wetterbericht stimmt. Den hatte einst der gestürzte Diktator auch noch zu seinen Gunsten „umschreiben“ lassen. Sank das Thermometer im Winter zu tief, setzte man die Temperaturen herauf, um so die Fernheizungen mit weniger Energie speisen zu können.

Und daran spart man noch heute. In Miercurea-Ciuc, oder wie die Ungarn die 50.000 Einwohner zählende Stadte ebenso unaussprechlich Csikszereda nennen, herrscht noch immer Winter. Auf den Bergen liegt Aprilschnee — die Heizkörper bleiben kalt und es mangelt an Wasser. Vor dem Rathaus verrät eine amtliche Mitteilungstafel, wenn der Wasserhahn fließt. Als Faustregel gilt, höchstens vier Stunden, meist nachmittags zwischen vier und acht. Denn dann stoppt die Produktion in den Großfabriken — dann kann man der Bevölkerung Wasser zuteilen. Aber wer glaubt, mit solch drastischen Sparmaßnahmen, die übrigens auch für die größten Industriezentren wie Brasov (Kronstadt), Ploiesti und hin und wieder für Bukarest gelten, werde die Produktion gesichert, der irrt. Es mangelt allen Fabriken an Ersatzteilen, Rohprodukten und vor allem Energie. Und die, die noch zur Arbeit erscheinen, die bummeln, mehr aus Wut denn aus Solidarität mit ihren Kollegen, die zu Hause sitzen und Kräutertee trinken. Denn ein Arbeitsloser kann sich den traditionellen türkischen Kaffee nicht mehr leisten.

Janos war bis vor kurzem Vorarbeiter bei „Tractorul“. Er weiß, schon seit Jahren machte der Großbetrieb keine Profite mehr. Er sieht ein, daß Arbeiter, aber auch Angestellte im aufgeblähten Verwaltungsapparat entlassen werden müssen. Er ging freiwillig, wollte so dem Betrieb helfen und eine eigene Existenz zusammen mit dem Bruder aufbauen. „Ich sah meine Entlassung kommen und an Arbeitslosenunterstützung glaubte ich nicht“, erzählt Janos, „na, und ich hatte Recht.“

Was er jedoch nicht vorhersah und niemand in der Stadt, daß es keine Möglichkeit zur Schwarz- oder Gelegenheitsarbeit geben würde oder eine Privatinitiative zum Erfolg führen könnte. „Wir hatten Ungarn vor Augen“, erzählt der Schlosser Attila, ein Freund von Janos. „Dort sind schon Hunderttausende ohne Arbeit und man rechnet bei nur 10 Millionen Einwohnern mit Arbeitslosen bis zu einer Million — und dennoch, man kann sich durchwursteln.“ Beide waren oft genug in Budapest, manchmal nur für ein paar Tage, manchmal für mehrere Wochen gingen sie einer Schwarzbeschäftigung nach.

Was sie dort lernen konnten an privatem Unternehmergeist, das wollten sie zu Hause umsetzen. „Und auf dem Papier war das alles ganz einfach“, erzählen die beiden Aussteiger. Trotz aller Einwände und Reglementierungen, die neuen Wirtschaftsgesetze seien nicht schlecht. In Miercurea-Ciuc sind bereits über fünfzig Privatfirmen registriert. Auf dem Rathaus, im Stadtbild sind sie nicht zu sehen. Die Gründe sind immer die gleichen: Wie soll man eine private Kneipe aufmachen, wenn einem niemand Bier oder Wein liefert? Wie eine private Bäckerei, wenn die Bauern kein Mehl verkaufen, wie eine Autowerkstatt, wenn keine Ersatzteile ankommen? Selbst Eva vom privaten Touristenbüro glaubt ihren Service bald wieder einstellen zu müssen. Den Menschen fehlt das Geld zu reisen. Nicht einmal „Handelsfahrten“ wie sie doch typisch für polnische Touristen sind, könnten sich die Rumänen leisten. Sie finden nichts, was sie im westlichen Ausland gewinnbringend auf dem Schwarzmarkt anbieten könnten. Eva gehört zu der „feineren Gesellschaft“ von Miercurea-Ciuc. Ihr Mann ist Eishockeytrainer der rumänischen Nationalmannschaft, zehntausend Lei bringt er allein im Monat nach Hause. Und dennoch. Eva rechnet vor. Nur für Brot und Milch braucht eine Familie im Monat an die tausend Lei, viermal Fleisch im Monat koste ebensoviel, ein Kindergartenplatz mittlerweile an die 500 Lei. Der amtliche Durchschnittslohn, knappe dreitausend Lei! „Und dann gibt es keine Familie, in der nicht irgendjemand arbeitslos geworden ist, denjenigen darf man nicht hängen lassen“, erzählt Eva, „der bekommt nicht einen Lei vom Staat, aber das traurigste dabei, er kann sich nirgends nützlich machen, irgendwo irgendetwas verdienen.“ Einzige Ausnahme: Bei der Feldarbeit. Eva glaubt, noch ein paar Jahre, und die rumänischen Städte seien menschenleer. Auch sie und ihr Mann kauften sich ein zerfallenes Bauernhäuschen. Ihr Kommentar: „Wir treiben fort von Europa, wie im letzten Jahrhundert wird nur der Bauernstand überleben.“