Proteste gegen Entschädigungsgesetz

Nach dem Parlamentsbeschluß in Ungarn laufen Mitglieder der Agrarkooperativen Sturm  ■ Aus Budapest Tibor Fényi

In Ungarn hat das Gesetz über die Entschädigung ehemaliger Eigentümer, die unter dem kommunistischen Regime 1949 ihren Besitz verloren haben, eine Welle von Protesten ausgelöst. Der Verband der Agrargenossenschaften hat den Präsidenten der Republik aufgefordert, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Auch die Oppositionsparteien übten scharfe Kritik.

Mit der Verabschiedung des Entschädigungsgesetzes durch das Parlament ist in der Nacht auf Donnerstag eine lange Belastungsprobe der ungarischen Dreiparteienkoalition zu Ende gegangen. Vor allem die Kleine Landwirtepartei hat das Gesetz durchzusetzen versucht. Jetzt sollen Landbesitzer Entschädigungen im Wert von 100 Milliarden Forint (etwa zwei Milliarden Mark) erhalten. Ausgeklammert bleiben vorerst die bis 1948 verstaatlichte Industrie und die Banken.

Die einstigen Besitzer von Land, Häusern, Geschäften und Betrieben erhalten jedoch nicht das ursprüngliche Eigentum zurück, sondern „Entschädigungsbons“, die auf andere Personen übertragbar und damit verkaufbar sind. Mit Rücksicht auf die vielen Rentner unter den Bezugsberechtigten können für sie Pensionsscheine gelöst werden. Wer ein Unternehmen gründen will, kann sie bei Kreditanträgen auch als Kapitalnachweis verwenden.

Die Entschädigungssummen sind stark degressiv. Der volle Wert einer Liegenschaft wird nur bis zu 200.000 Forint (etwas mehr als Durchschnitts-Jahreseinkommen) zuerkannt. Die Obergrenze wurde angesichts der Wirtschaftskrise mit fünf Millionen Forint festgelegt. Der ursprüngliche Besitzer wird ein Vorkaufsrecht auf sein früheres Eigentum haben, falls der Staat dieses privatisieren will. Das dürfte die Privatisierung zwar etwas verlangsamen, gibt aber potentiellen Käufern eine gewisse Sicherheit: einstige Besitzer, die ihr Vorkaufsrecht nicht nutzen, können ihr Eigentum später nicht mehr einklagen. Zwei spezielle Gruppen — die während des Zweiten Weltkriegs enteigneten Juden und die nach 1945 ausgesiedelten Volksdeutschen — werden durch ein eigenes Gesetz entschädigt werden. Ausdrücklich bezugsberechtigt sind auch Ungarn, die heute im Ausland leben. Ansprüche sind binnen 90 Tagen nach Inkrafttreten bei den Ämtern einzureichen.

Das Gesetz wird von sämtlichen Oppositionsparteien kritisiert. Der Haupteinwand richtet sich gegen die Tatsache, daß die Inflation, die jetzt schon 30 Prozent beträgt, angeheizt wird. Außerdem habe die Koalition unter dem Druck der Kleinlandwirte eigene Regelungen für Agrarland getroffen. In diesem Bereich werde der Schaden in Goldkronen aus der Zeit der Monarchie bemessen. Bis zur Höchstgrenze von tausend Goldkronen — etwa eine Million Forint — soll jeder einstige Besitzer Land von Staatsgütern oder aus Genossenschaften unmittelbar beanspruchen können. Kritiker sagen voraus, daß dadurch zahllose Kleinparzellen entstehen werden. Die größte oppositionelle Parlamentsfraktion, der „Bund der Freien Demokraten“, sieht noch andere Mängel. „Das Gesetz wird jene enttäuschen, die zuwenig Entschädigung bekommen, und jene, die nichts bekommen, aber durch die erhöhte Inflation negativ betroffen sind.“ Es wäre, so die Freien Demokraten, besser gewesen, „ein Gesetz zu verabschieden, das die Frage endgültig abschließt und allen Bürgern eine symbolische Entschädigung zuspricht“.