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INTERVIEW„Die Alliierten haben den Krieg nicht zu Ende gebracht“

■ Ein Gespräch mit Mehmed Ali Eren, kurdischer Abgeordneter im türkischen Parlament, über die Kurdenpolitik der Türkei und der Alliierten

Der Rechtsanwalt Mehmed Ali Eren zog 1987 für die Sozialdemokratische Partei (SHP) ins türkische Parlament — „als Türke“, wie er heute sagt, denn als kurdischer Kandidat hätte er keine Chance gehabt. Am 19. Januar 1988 konfrontierte er die Kollegen Abgeordneten mit einer bis dahin nie vernommenen — und für die meisten unerhörten — Rede: Eren ergriff als Kurde das Wort und übte scharfe Kritik an der Menschenrechts- und Minderheitenpolitik der türkischen Regierung. Dies löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die Rede durfte nicht wiederholt und nicht veröffentlicht werden. 1989 schloß ihn die Türkische Sozialdemokratische Partei wegen „Separatismus“ aus, nachdem er an einer Kurden-Konferenz in Paris teilgenommen hatte. 1990 gründete er mit anderen Ex- Mitgliedern die „Volkspartei der Arbeit“ (HEP). Gegen Eren läuft jetzt ein Antrag zur Aufhebung seiner Abgeordnetenimmunität. Anschließend könnte dem 40jährigen ein Verfahren wegen „Separatismus“ drohen: Er hatte 1989 auf einer Veranstaltung in Hamburg Özals Kurdenpolitik kritisiert.

taz: Zur Zeit verhandeln führende Politiker der irakischen Kurden mit dem Regime von Saddam Hussein über eine mögliche autonome kurdische Region im Irak. Ist das ein letzter Ausweg oder ein gefährliches Poker mit dem Henker?

Eren: Ich war nie gegen Verhandlungen. Aber man muß aus den Erfahrungen mit Saddam Hussein lernen. Sollte er tatsächlich eine autonome Region zusichern, dann ist das nur akzeptabel, wenn entweder die UNO die Region absichert oder den Kurden das Recht auf eine eigene Armee zugestanden wird.

Es gibt ja auch die Befürchtung, daß die Flüchtlingslager-Schutzzonen zur Dauereinrichtung für die irakischen Kurden werden könnten.

Diese Gefahr droht zweifellos. Unser Volk läuft Gefahr, in eine ähnliche Lage zu geraten, wie die Palästinenser: Unter unsäglichen Bedingungen in einer Art Reservat zusammengepfercht zu werden.

Sie haben US-Präsidetn Bush wiederholt kritisiert, die Kurden zum Aufstand gerufen und dann im Stich gelassen zu haben. Was hätten die USA stattdessen tun sollen?

Sie hätten den Krieg solange führen müssen, bis Saddam Hussein keine Gefahr mehr für die Kurden gewesen wäre. Erst dann wäre der Boden für eine Demokratisierung des Iraks bereit gewesen. Aber das liegt nicht im Interesse Saudi-Arabiens und Syriens. Aufgrund des Drucks aus Damaskus und Riad haben die Alliierten den Krieg nicht im Sinne der Kurden zu Ende gebracht.

In diesem Punkt gibt es also eine Allianz zwischen General Schwarzkopf und dem kurdischen Abgeordneten Eren?

In diesem Punkt: ja. Der Mann wird bestimmt bald ein Buch schreiben, dann erfahren wir mehr darüber, warum der Krieg zu diesem Zeitpunkt beendet wurde.

Hätte denn der Krieg gegen den Irak nach Ihrer Meinung begonnen werden dürfen?

Man hätte das Embargo weiterführen sollen. Allerdings ist die Lage im Nahen Osten so komplex, daß Kriege unter bestimmten Umständen unvermeidlich sind.

Was fordern Sie jetzt von den USA?

Eines vorweg: Ich halte die neue Politik der Alliierten lediglich für unfreiwilliges Nachgeben gegenüber öffentlichem Druck. Was ich fordere? Die USA beziehungsweise die Alliierten müssen mit Saddam Hussein eine autonome Region für die Kurden aushandeln. Das hätte bereits im Rahmen der Waffenstillstandsverhandlungen passieren müssen. Und wenn Saddam Hussein nicht einwilligt, müssen sie erneut militärisch gegen ihn vorgehen. Dann müssen sie die Kurden befreien, wie sie die Kuwaitis befreit haben. An den irakischen Kurden wird ein Völkermord verübt. Ein Völkermord ist keine „innere Angelegenheit“ des Iraks. Da stimme ich völlig mit Ihrem Außenminister Genscher überein.

Sie haben sich kürzlich in aller Deutlichkeit für die Errichtung eines kurdischen Staates ausgesprochen. Der türkische Ministerpräsident Özal hat mehrfach erklärt, daß er einen solchen Staat auch außerhalb der Türkei nicht dulden wird. Nun scheint Özal seine Kurdenpolitik geändert zu haben.

Die Kurdenpolitik der Türkei unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der des Iran, des Irak oder Syriens. Saddam hat sich unbestreitbar des Völkermords schuldig gemacht. Die Türkei benutzt andere Mittel. Staatlicher Terror und politische wie kulturelle Unterdrückung haben zu einer Vertreibung der Kurden innerhalb des Irak geführt. Zum Beispiel die Stadt, aus der ich stamme: Tunceli hatte vor dem ersten Kurdenaufstand 1937 380.000 Einwohner. Heute leben noch 30.000 Menschen dort. In anderen Städten ist es dasselbe wie in meiner Heimatstadt. Ich verstehe nicht, wie man Özal im Ernst abnehmen kann, er wolle seine Kurdenpolitik ändern.

Selbst Jalal Talabani, der Führer der „Patriotischen Union Kurdistans“ im Irak und auch Vertreter von Barzanis „Demokratischer Partei Kurdistans“ haben mit Özals Regierung Gespräche geführt. Sie haben sich von Özals Reformwillen überzeugt gezeigt. Ist das naiv?

Özal wollte vor Beginn des Krieges eine zentrale Rolle im Golfkonflikt spielen. Das ist ihm nicht gelungen. Jetzt versucht er das Gleiche im Kurdenkonflikt. Auch das wird ihm nicht gelingen. Wir brauchen keine Gönner, sondern Selbstbestimmung und Anerkennung unserer Rechte. Interview: Andrea Böhm

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