Verletztentourismus oder humanitäre Hilfe?

Hilfsorganisationen streiten über den Sinn, kranke Kurden in die BRD zu jetten/ Bundeswehr betreibt „viel Aufwand mit wenig Effekt“  ■ Aus Bonn Tina Stadlmayer

„Wir wollen keinen Verletztentourismus“, empörte sich der Vertreter des Roten Kreuzes. „Die Kinder sollen also sterben?“, fragte Pfarrer Weiß vom Nothilfe e.V. Lindau vorwurfsvoll zurück. Beim Treffen der offiziellen und der privaten Hilfsorganisationen am Mittwoch abend mit Außenminister Genscher ging es hoch her. Streitpunkt war die Frage: Ist es sinnvoll, schwerkranke kurdische Kinder aus dem Irak in deutsche Krankenhäuser zu bringen?

Vollmundig hatte Außenminister Genscher vergangene Woche im Parlament angekündigt, die Bundeswehr werde Transall-Maschinen für den Krankentransport zur Verfügung stellen. Bislang ist nichts geschehen. „Jeden Tag sterben Hunderte von Kindern, die Hilfe muß schneller und unbürokratischer vonstatten gehen“ sagen die Vertreter der privaten Organisationen. Sie werfen dem Roten Kreuz vor, die Aktionen der Kleinen zu blockieren.

Private Organisationen wie der Nothilfee.V. haben Pflegefamilien und kostenlose Krankenhausversogung für einige hundert Kurden, vor allem schwerverletzte Kinder, organisiert. Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und Rotes Kreuz kritisieren diese Aktion. Heribert Rörich vom ASB sagt: „Es ist zur Zeit wichtiger, Zelte und sauberes Wasser vor Ort zu organisieren, damit nicht noch mehr Menschen krank werden.“ Kinder in die Bundesrepublik auszufliegen sei besonders problematisch: „Ohne ihre Verwandten erleiden sie in Deutschland einen Schock“. Pfarrer Weiß hält dem entgegen, kurdische Organisationen würden sich darum kümmern, daß jedes Kind wieder zu seinen Verwandten zurückkomme. Ein möglicher Kulturschock sei ein „zweitrangiges Problem“, da es um „das Leben der Kinder“ gehe. Bereits in den nächsten Tagen würden Ärzte seiner Organisation in den Irak fliegen, „um die Kinder auszuwählen“. „Gutgemeinte Selektion“ nennt das Heribert Rörich.

Auch Eva Wichtmann von medico internationel ist skeptisch. Zwar müsse „alles getan werden, um den schwerverletzten Kurden zu helfen“, die Mehrzahl der kranken Kinder sei jedoch nicht verletzt, sondern „drohe an Durchfall zu sterben.“ Ihnen müsse vor Ort mit sauberem Wasser geholfen werden.

In einem Punkt sind sich alle Hilfsorganisationen einig: Daß die Bundeswehr bei ihren Aktionen in der Türkei „viel Aufwand mit wenig Effekt“ betreibe. Pro soldatischem Helfer belegt sie angeblich ein Doppelzimmer im Hotel. Auch die Verlautbarung des Auswärtigen Amtes, die Hilfsaktionen würden „mit Unterstützung der türkischen Behörden reibungslos abgewickelt“, entspreche, so Heribert Rörich vom ASB, „nicht ganz den Fakten“. Die türkische Regierung hindere die Flüchtlinge immer noch daran, in die Täler hinunterzusteigen: „Da hat auch Herr Genscher noch nichts erreicht“.