„Ich bin da hin wie bescheuert“

Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht schilderte Susanne Albrecht gestern den Mord an dem Bankier Ponto/ Durch sie kam die RAF auf Jürgen Ponto/ In die Aktion selbst will Susanne Albrecht nicht voll eingeweiht gewesen sein  ■ Aus Stammheim Erwin Single

Der Tod des Bankiers Jürgen Ponto war ein „Unfall“. So zumindest sieht Susanne Becker, geborene Albrecht, die mißglückte Entführung des Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank durch ein Kommando der RAF. Am Nachmittag des 30. Juli 1977 hatte sich Susanne Albrecht, einen Strauß roter Rosen in der Hand, Einlaß in die Villa ihres „Onkels“ Jürgen Ponto im Taunusstädtchen Oberursel verschafft. „Ich bin's, die Susanne“, meldete sie sich durch die Sprechanlage an, begleitet von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. Das Trio hatte sich herausgeputzt; das Mißtrauen der Familie Ponto sollte nicht durch „unangemessene Kleidung“ erweckt werden. Was sich anschließend im Wohnzimmer abspielte, schilderte die Angeklagte dem Stuttgarter Oberlandesgericht gestern wie eine Filmsequenz: „Nach kurzen Begrüßungsfloskeln zog Klar die Waffe und erklärte Ponto, daß er entführt werden sollte. Auch Mohnhaupt zog die Waffe.“

In „sehr ruhigem, erschrockenem Ton“, erinnert sich Susanne Albrecht, habe Ponto darauf reagiert: „Ihr seid ja wahnsinnig.“ Dabei breitete der Bankier seine Arme in Richtung Brigitte Mohnhaupt aus. „Darauf schoß Herr Klar unvermittelt gezielt auf Herrn Ponto. Herr Ponto taumelte, im selben Moment schoß auch Brigitte mehrmals.“ Ponto fiel um. Die drei rannten zum Auto, in dem Peter-Jürgen Boock wartete, und flüchteten in eine konspirative Wohnung in Hattersheim.

Damit war der Entführungsversuch gescheitert, mit dem sich Susanne Albrecht nach ihren Angaben vier Monate lang ausschließlich beschäftigt hatte. „Ich bin da hin wie bescheuert“, berichtet sie, „mit überhaupt keinem klaren Gedanken“ — außer dem, „daß so ein blutiges Ende verhindert werden könnte“. Seit dem Gespräch mit Volker Speitel und den Alternativen, die ihr die Gruppe vorhielt, befand sie sich in „einer Klemme“: „Das lenkte die Gedanken immer in die Richtung, daß das Schlimmste nicht passiert, nämlich die Tötung Pontos.“ Von ihren familiären Banden zu den Pontos hatte sie in einem Gespräch dem RAF-Mitglied Volker Speitel berichtet; bei weiteren Kontakten mit „Illegalen“ wurde sie über die gesellschaftliche Stellung des Bankiers weiter ausgefragt. Ihre „Verantwortlichkeit“, so Susanne Albrecht heute, habe darin bestanden, durch dieses Gepräch die Gruppe erst auf diese Idee gebracht zu haben. „Das“, sagte sie, sei der „Anfang vom Ende“ gewesen; die Tat im Hause der Pontos habe sie die ganzen 14 Jahre in unterschiedlicher Intensität verfolgt, auch jetzt sei sie damit noch nicht fertig.

Die Familien Albrecht und Ponto waren eng befreundet; als die Gruppe Susanne Albrecht mit dem Entführungsplan konfrontierte, für den sie als „Türöffnerin“ gebraucht wurde, sei ihr klar gewesen, daß sie, egal wie sie sich verhalte, „in der Sache tief drinnen hänge“ und „mitverantwortlich“ sei. Hätte sie nicht die „Türöffnerin“ gespielt, wäre Ponto wohl auf offener Straße entführt worden. Darin habe sie die Gefahr einer Schießerei gesehen. „Das traf bei mir auf den entscheidenden Punkt von Verantwortlichkeit und Schuld, hier mußte ich mich schuldig machen, um diesem inneren Anspruch gerecht zu werden.“ Geschossen hätte sie auf keinen Fall (vor der Ponto-Aktion hatte sie heimlich ihren Revolver entleert und die Patronen in die Tasche gesteckt) — auch nicht, wenn sie in eine Polizeikontrolle geraten wäre.

Präzise und gefaßt schildert die RAF-Aussteigerin die Geschehnisse und die Situation, in der sie sich damals befand. Nur einmal wird die ungeheure Anspannung sichtbar, als sie auf den tödlichen Anschlag zu sprechen kommt. Für den Vorsitzenden Richter Kurt Breucker, als jahrelanger Beisitzer in Stammheimer Terroristenprozessen erfahren, scheinen keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angeklagten aufzukommen. Wo er tags zuvor noch nachgehakt hatte und sich von Susanne Albrecht kiebige Antworten einfing, übte er gestern gelassene Zurückhaltung. Freundlich entschuldigt man sich gegenseitig für Mißverständnisse. Dennoch fällt es der Angeklagten nach ihren Worten schwer, ihre Einlassungen so einfach „abzuspulen“.

Dazu gehören auch die Beschreibungen des psychischen Drucks, den die Gruppe auf sie ausübte. Bei den „Illegalen“ habe sie sich „von Anfang an fehl am Platze“ gefühlt. Die genaue Planung der „Aktion Ponto“ sei mit ihr nicht besprochen worden, gibt sie an. „Man hat was von mir gewollt, mir aber letztlich nicht richtig getraut.“ Zu den beiden Telefonaten mit Ines Ponto am Vortag des Mordes, mit denen Susanne Albrecht ihren Besuch ankündigte, hatte die Gruppe Adelheid Schulz als Aufpasserin mitgeschickt. Nach der Aktion sei „alles an ihr vorbeigerauscht“; auch das Bekennerschreiben will sie auf Anweisung Mohnhaupts unterschrieben haben, ohne den Inhalt zur Kenntnis zu nehmen.

Auf einen möglichen Ausstieg vor der geplanten Entführung angesprochen, verteidigte Susanne Albrecht ihr Verbleiben in der Gruppe: rausgehen und schweigen sei keine Alternative gewesen, denn die Aktion Ponto hätte trotzdem stattgefunden. Und: „Wenn ich mich — etwa gegenüber meinen Eltern — offenbart hätte, wäre mir eine Schmücker- Karriere bevorgestanden.“