Kriegerkulissen für Versehrte

■ Die »Invalidensiedlung Frohnau« steht als Dokument nationalsozialistischer Stadtplanungs- und Siedlungspolitik unter Denkmalschutz

Weit draußen vor den Toren der Stadt bauten Hitlers Architekten den Kriegsheimkehrern aus dem Ersten Weltkrieg eine Siedlung. Hier sollten, in historisierendem Ensemble, die Krüppel und Invaliden einen mietfreien Lebensabend finden. Was nicht mehr in das Konzept eines gesunden Kriegerkörpers paßte, wurde in ein Getto verbannt. Gleichzeitig plante man vor: In der Siedlung, die Anfang des Jahres unter Denkmalschutz gestellt wurde, leben heute noch die Versehrten aus dem Zweiten Weltkrieg und ihre Familien.

Natürlich ist es beschwerlich hier draußen. Wenn ick zur Apotheke will«, meint die Kriegerwitwe keß, »muß ick in den Bus nach Frohnau springen. Bis 1961 konnten wir noch nach Hohen Neuendorf zum Einkaufen gehen. Denn war ja Sense! Und jetzt?... Det dauert.« Für die Bewohnerin der »Invalidensiedlung« am nördlichsten Ende Frohnaus ist die »Idylle im Wald«, wie Umweltsenator Hassemer anläßlich der kürzlich erfolgten Unterschutzstellung des denkmalwerten Ensembles vor der Presse meinte, heute mehr ein Ort mit praktischen Schwierigkeiten als ein romantischer Alterssitz. Die scheinbar zeitlose Siedlung, zwischen S-Bahn-Trasse und Stadtgrenze gelegen, ist in Wahrheit ein Flecken der Geschichte und der Vergänglichkeit: Gesetzlich anerkannte Schwerkriegsbeschädigte leben dort mit ihren Familien in kleinen Wohnhäusern, die ihnen vom Senat für Gesundheit und Soziales kostengünstig zur Verfügung gestellt werden. Rollstühle statt Skateboards hoppeln hier übers Pflaster. Und jeder Gang ist schwer inmitten eines grotesken Anachronismus. Immerhin, die sanatoriumsähnliche Ruhe und Abgeschiedenheit veranlaßte den Senator, sich in Sonntagsstimmung zu versetzen: »Kein Zweifel: Es ist schön hier draußen«, rief der Dienstherr der Denkmalbehörde aus.

Kein Zweifel, die fünfzig zweigeschossigen Klinkerbauten sehen aus wie aus dem Bilderbuch für Zinnsoldaten. In einem lichten Wäldchen bildet die durchgrünte Wohnanlage ein Oval um einen Park. Die geschlossene Struktur, ein »Kommandantenhaus« sowie Toreingänge mit Wachhäuschen hinter Mauern erinnern aber an militärische Anlagen. Die Kasernenatmosphäre wird verstärkt durch Sandsteinreliefs über den Hauseingängen, auf denen Soldaten Krieg spielen, unter Jahreszahlen aus den schlesischen Feldzügen des Großen Fritz': »AD 1758 Fehrbellin« oder »AD 1761 Kolberg« ist da zu lesen. Dann und wann taucht ein preußisches Stadtwappen auf. An einem Appellplatz gucken zwei dicke Kanonenrohre aus dem 18. Jahrhundert aus dem Gebüsch.

Doch die historisierenden Backsteinfassaden täuschen. Sie sind eine soziale und bauliche Fälschung aus der Zeit des Faschismus in Deutschland. Das Areal wurde 1937/38 nach Plänen der Architekten Kallmeyer/ Hagen vom Heeresbauamt entworfen. Kriegsinvaliden, »verdienten« Offizieren des Ersten Weltkriegs, sollte damit ein mietfreier Lebensabend mit ihren Familien inmitten alter Kameraden ermöglicht werden. Als Vorstand des militärischen Lagers fungierte ein Kommandant, der die Siedlung und ihre rund 300 »Insassen« kontrollierte.

Gleichzeitig wurden damit die Invaliden aus der Stadt entfernt. Das von Friedrich II. gegründete Invalidenhaus aus dem Jahre 1748, in Berlin-Mitte gelegen, paßte nicht in die Speerschen Umbaupläne für die Nazi-Hauptstadt. An gleicher Stelle plante Hermann Göring, oberster Nazi-Flieger, eine Erweiterung der Militärarztakademie in der Scharnhorststraße. Die Invaliden mußten an die Stadtgrenze ausweichen. In Frohnau entstanden rund 150 Wohnungen, die vorzugsweise für Rollstuhlfahrer angelegt waren. Die nostalgische Gestaltung der Anlage erinnerte durch die städtische Architektur des 18.Jahrhunderts an die Tradition der von Friedrich II. erbauten Stiftung und gab damit vor, ein Stück preußischer Sozialpolitik fortzusetzen.

Tatsächlich aber widersprach das Konzept der Frohnauer Siedlung einem sozialen Programm: Die Versorgung der Kriegsinvaliden war ab 1937 vom zivilen Hauptversorgungsamt in Berlin an das Oberkommando der Wehrmacht übergegangen. Statt der sozialen Integration der Behinderten, wie es die zentrumsnahe Einrichtung des einstigen Invalidenhauses in Berlin-Mitte möglich gemacht hatte, verbannte man die Invaliden (wie andere Behinderte auch) in ein Getto außerhalb der Stadt. Sie wurden als Gruppe ausgegrenzt, entsprachen sie doch nicht der ideologischen Normierung vom gesunden Kriegerkörper. In der Siedlung herrschte soziale Kontrolle durch Überwachung, die durch die räumliche Ordnung wie durch die Einsetzung eines Kommandanten hergestellt wurde.

Die dekorative Bezugnahme auf das 18. Jahrhundert suggerierte eine historische Kontinuität zwischen Preußen und der Nazidiktatur, die der geschichtlichen Manipulation und der Vorbereitung einer expansiven Außenpolitik auf einen neuen Krieg dienten. Tatsächlich hatten die friderizianischen Kriege für Preußen nicht nur große Verluste, sondern auch für Schlesien den sozialen und wirtschaftlichen Niedergang gebracht. Im baulichen Gewand des 18.Jahrhunderts wurde den Versehrten ein schmutziger Krieg mit heroischen soldatischen Gesten vorgespielt, dessen grotesker Widersinn noch darin bestand, daß jene Verletzungen aus einem Krieg davontrugen, »der mit einer Maschinerie geführt worden war, gegen die die abgebildeten Waffen«, so Hassemer, »wie harmlose Requisiten eines Ufa-Kostümfilms erschienen«.

Auch in der städtebaulichen Planung und Architektur der Siedlung suchte man Vorbilder zur Legitimation eines Krieges, indem mit Satteldach und Sprossenfenstern, mit Kriegsschmuck und altdeutscher Handwerksarbeit ein frühbürgerliches Heimatideal beschworen wurde, das der Parole von der »Sicherung des Lebensraums« propagandistisch als Unterbau diente. Die antimoderne Waldsiedlung Frohnau hatte mit den großen Wohnsiedlungen der zwanziger Jahre von Bruno Taut und Martin Wagner in Britz oder Zehlendorf nichts mehr gemein. Vielmehr spielte die Siedlung neben den repräsentativen monumentalen Nazi-Bauten die private Rolle in der Architektur der völkisch-rückständigen Blut-und-Boden-Ideologie.

Sich aus politischen Stilgründen eines Denkmals zu entledigen ist eine billige wie dumme Form der historischen Entsorgung — wie die aktuelle Debatte um die sozialistischen Denkmäler im Ostteil Berlins zeigt. Wie beinahe jede Unterschutzstellung von denkmalwerten Bauten kommt auch die der Nazi-Invalidensiedlung zu spät. Zwar wurden die Bauten in Frohnau nicht wie so manch andere Nazi-Relikte im Zuge der Bilderstürmerei zerstört. Doch müssen nun für die Sanierungsmaßnahmen rund zwanzig Millionen Mark aufgewendet werden. Die Bedeutung der Nazi- Siedlung liegt nicht in der Erhaltung eines sogenannten authentischen Erinnerungswerts, der etwa durch die erfolgte Eintragung ins Denkmalbuch politischen Aufschwung oder gar dessen Respektierung erleben könnte. Der Denkmalwert der »Invalidensiedlung«, die neben dem Wohnkomplex am Grazer Damm die einzige erhaltene große, zusammenhängende bauliche Siedlung in Berlin aus der Zeit des Faschismus in Deutschland darstellt, liegt gerade darin, eine ideologiegeschichtliche Auseinandersetzung zu ermöglichen. Ihre Überdauerung ist eine Erinnerungsstütze für die Ambivalenz der formalen und historischen Bezüge, die das Naziregime unmittelbar vor dem Krieg zum 18. Jahrhundert knüpfte und in der die Gegenwart von 1938/39 nahezu vollständig verdrängt wurde. rola/oldenburg

Die »Invalidensiedlung« in Frohnau erreicht man über die Oranienburger Chaussee und mit der Buslinie 15 ab U-Bahnhof Tegel.