Grüne Korridore bis in die City

■ »Stadtforum«: Landschaftsplanung kontra Anforderungen einer Dienstleistungsmetropole

Berlin. »Die städtebauliche Vision von einem Berlin als Metropole für Handel, Verkehr und Dienstleistungen«, resümierte Ingo Kuwarik, Landschaftsplaner an der TU Berlin, auf der zweiten Sitzung des »Berliner Stadtforums« am vergangenen Sonnabend, »muß zwingend von einem grünen Entwurf getragen werden.« Die Metropole der Zukunft brauche die grünen Ressourcen als »ökologisches System zur Sicherung unserer Lebensgrundlagen«. Deshalb müßten die vorhandenen Naturflächen in der Stadt und im Umland erhalten, die neu entstandenen Biotope entlang ehemaliger Mauerstücke und überwachsener Industriebrachen »qualifiziert« werden. Berlin solle von einem 20 bis 30 Kilometer breiten Grüngürtel umgeben werden, von dem aus »grüne Korridore« ins Stadtzentrum führen — ein Konzept, das nicht dem Stadtentwicklungsprogramm der Ex-Senatorin Michaele Schreyer entnommen ist, sondern auf Martin Wagners grüne Ring- und Korridorplanungen aus den zwanziger Jahren zurückgeht.

Handfestere Ergebnisse, die zu planerischen Aufgaben führen könnten, fand Rudolf Schäfer, Moderator beim Berliner »Stadtforum«, in seinem Fazit, hätte die Veranstaltung »noch nicht« gebracht. Indessen hätte das Thema »Zukünftige Funktionen der Stadt Berlin« sich durch die Thesen zur »räumlichen Entwicklung der Zentren in der Innenstadt« von Edvard Jahn, Mitglied der Lenkungsgruppe des Stadtforums, und anschließende Fachvorträge zu konkreten »Stadtbildern verdichtet«.

Die Metropole Berlin werde, hatte der Stadplaner Jahn ausgeführt, bis zum Jahre 2005 von derzeit 3,3 Millionen Einwohner auf über 5 Millionen anwachsen. Eine neue bauliche Verdichtung werde erforderlich, zumal die Ausweitung des Flächenverbrauchs seit dem Kriegsende bis heute zu einer Verdoppelung der Wohnfläche pro Einwohner geführt habe bei gleichzeitiger Halbierung der Bevölkerungsdichte. Ebenso sei es notwendig, daß zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im Wirtschaftsbereich eine Reindustrialisierung Berlis vorgenommen werden müsse. Neue stadtverträgliche Gewerbeflächen seien in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten und Wohnquartieren anzusiedeln. Der Dienstleistungssektor werde, referierte Jahn mit Blick auf die vom Bonner Bauökonomen Ulrich Pfeiffer hochgerechneten »Entwicklungstendenzen« im tertiären Bereich, zu einer Erhöhung der Büroflächen der Innenstadt führen. Die Mehrzahl der sich daraus ergebenden Arbeitsplätze müsse aber nicht zwangsläufig in Bauten am Potsdamer Platz oder entlang der Leipziger Straße angesiedelt werden. Ebenso könnten periphere Standorte, wie etwa das »Ostkreuz« oder das Lehrter Bahnhofsgelände, bebaut werden. Schließlich werde Berlin der zentrale Ort für die Versorgung der Stadt und der Region mit Gütern und Diensten. Die Versorgung müsse im wesentlichen an den bezirklichen Ortsmittelpunkten erfolgen, so wie das in Spandau oder in Steglitz schon lange praktiziert wird. Die Ostberliner Bezirke müßten in diesem Zusammenhang gestärkt werden. Die Stadtmitte allerdings bleibe unter diesen Orten »Primus inter pares«.

Wie bei vielen Berliner Stadtplanern orientieren sich Jahns stadträumliche Vorstellungen an den geläufigen polyzentrischen Strukturen Berlins. Gewichtige Standorte müssen erneuert, funktionierende gestärkt und fehlbelegte umgenutzt werden. Allein den Gebäuden, in denen mit der unternehmerischen Entwicklung die Zukunft unserer Stadt verbunden scheint — man denke bloß an Daimler-Benz —, sollen zentrale Standorte reserviert werden; als ob es keine anderen gäbe. Ein architektonisches Szenarium kapitalistischer Kathedralen aus Glas und Stahl am Potsdamer Platz entstünde, deren bauliche und wirtschaftliche Dominanz eine neue Stadt zwischen zwei alte Stadthälften schlüge. Ein erneuter hierarchischer Stadtgrundriß wäre die Folge, ganz zu schweigen von der Nahtstelle zwischen Ost- und West-Berlin, die einer unverheilten Narbe gleichsähe. Kämen noch zentrale Gebäude für einen möglichen Regierungssitz im Spreebogen hinzu, Parlament und Ministerien, so fände sich im »zentralen Bereich« eine Stadt wieder, die merkwürdig fremd an künstliche Überformungen erinnerte.

Auch in den radikalen Entwicklungsszenarien für Berlin, wie sie etwa Manfred Zache von der Gruppe »regioplan« vortrug, hätten differenzierte Lösungen wenig Platz. Seine strukturellen Standortkonzepte für Dienstleistungsflächen gehen von einer grundsätzlichen »Neuordnung« der tertiären Kapazitäten für Berlin aus. Insbesondere sollten neben den repräsentativen Lagen zwischen Kurfürstendamm und Alexanderplatz die räumlichen und funktionalen Entwicklungsmöglichkeiten im Umfeld der großen Verkehrsknotenpunkte des Stadt- und S-Bahn-Rings sowie am östlichen Außenring bebaut werden. Zache stellt sich im Zentrum ein »City-Band« vom Zoologischen Garten über den Zentralen Bereich bis zur Leipziger Straße vor, wobei die Verdichtung ähnlich in die Höhe schießen kann wie bei dem Berliner Architekten Hans Kollhoffs und dessen Hochhausvisionen zwischen Potsdamer und Alexanderplatz.

Für den Alexanderplatz und Potsdamer Platz hatte Kollhoff Anfang dieses Jahres jeweils zwei Hochhausareale entworfen, die durch die Achse der rückgebauten Leipziger Straße verbunden sind. Mit den beiden megalomanen Zentren wollte Kollhoff die historische Mitte vor dem steigenden Investitionsdruck durch die zu erwartenden Dienstleistungsbetriebe retten, die ins Zentrum drängen werden. Während Kollhoffs Idee ein mögliches städtebauliches Konzept bot, das auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung reagierte und das unverbrauchte Umland zu bewahren suchte, beziehen Zaches fokussierte Überlegungen das Umland mit ein: An den City- Rändern entstände ein Hochhausring mit vier Zentren an den Verkehrsknotenpunkten (West-, Ost-, Nord- und Südkreuz). Die Außenzentren fungierten als städtebauliche »Toreingänge« zur City, deren Höhen ins Gigantische wachsen könnten. Die historische Baustruktur Berlins würde im wesentlichen respektiert und erhalten bleiben. Entlang der innerstädtischen Achsen, den industriellen Brachflächen, den Ausfallstraßen und Radialen ins Umland könnte es zu Hochhausdistrikten kommen, wie sie etwa bei Paris oder in London entstanden.

Im Unterschied zu den Vorstellungen Zaches und Kollhoffs ist das Plädoyer Kowariks für eine situative wie hierarchische Verteilung und Qualifizierung von Natur und Landschaft in der Stadt entsprechend ihrer »funktionalen Notwendigkeit« ein Ansatz, der im Stadtforum nicht mehr vergessen werden darf. Zumal Kowariks Überlegungen von einer großen Bevölkerungszunahme, einer städtischen Verdichtung und teritiären Ballungsräumen, nicht jedoch von der Bewahrung einer Öko-Idylle ausgehen. Das strukturelle Konzept ist Alpha und Omega unserer stadträumlichen Zukunft, der sich die wirtschaftliche Prosperität unterzuordnen hat, weil es sie ohne sie nicht geben kann, nicht geben wird. Rolf Lautenschläger