Der Tag, als der Nebel kam

■ In einem Qualifikationsspiel zur Rugby-Bundesliga bezwang der BSV 92 den Lokalrivalen SV Post haushoch mit 32:15

Wilmersdorf. Eigentlich trug das Qualifikationsspiel zur Rugby-Bundesliga zwischen dem BSV 92 aus Wilmersdorf und dem Weißenseer SV Post alle Merkmale einer gelungenen Open-air-Party: Je später der Abend, desto erschlagener die Gäste! „Wasser, bringt schnell Wasser!“ brüllte mit zunehmender Spieldauer Post-Trainer Dieter Schmidt in die Runde an der Forckenbeckstraße.

Nicht, daß man im Ostteil Berlins einen guten Schluck geringschätzt. Doch Wasser ist nun mal — abgesehen von den helfenden Händen der Sanitäter — beim Rugby das einzig probate Mittel, um malträtierte Spieler wieder herzurichten. Ein getränkter Schwamm im Nacken des Darniederliegenden weckt die Lebensgeister. Automatisch wird der Nebel vor Augen, den der Gegner beim zwischenmenschlichen Vollkontakt aufziehen ließ, wieder lichter, bis er wieder den Blick freigibt auf den ovalen Spielball und das Tor mit seinen viel zu hoch geratenen Pfosten.

Am Samstag zählten die Weißenseer zu den Großverbrauchern der Schwamm-Industrie. „Der Gegner spielt doch unsauber. Warum sieht das denn der Schiedsrichter nicht?“ japste Dieter Schmidt. „Weil das ein eingedeutschter Engländer ist!“ kam die Antwort aus den eigenen Reihen. „Die pfeifen doch so gut wie gar nichts.“ Die Engländer, Vertreter eines der Ursprungsländer des Rugby, kannten die Ex-DDR-Vertreter bislang nur vom Hörensagen. Über 40 Jahre mußten sie ihrem Sport in der Diaspora frönen, abgeschnitten von den führenden Nationen im Westen. Jetzt werden sie notgedrungen mit den lang entbehrten Vorbildern konfrontiert, denn auch in den Reihen des BSV 92 waren einige Akteure des Englischen mächtiger als der deutschen Urlaute.

„Macht den doch endlich mal komplett“, rief Coach Schmidt seine erdigen Schützlinge zum Aufstand gegen einen weißhaarigen BSV- Gentleman auf, der die Ossis gleich im Dutzend flachlegte. Es wollte nicht klappen. Dabei hatte alles so gut angefangen für das Team von der Buschallee. Zu Beginn der Party, bei guter Fernsicht, überraschten die Postler noch mit taktisch klugen Spielzügen. Da das ovale Rugby-Ei stets nur nach hinten gespielt werden darf, bildete der SV Post eine kollektive Einheitsfront quer über das Spielfeld und ließ den Spielball wie an einer Schnur durch die Wilmersdorfer Reihen tanzen. 0:6 führte der Gast bereits nach dem ersten Angriffsversuch. Aber dann zog der Nebel auf. Jetzt fand Trainer Schmidt gar Zeit für den Reporter, während der Westberliner Haufen immer wieder breite Schneisen in die Ostberliner Abwehr schlug: „Ihr müssen noch viel lernen, was Härte und Schnelligkeit angeht“, so der traurig-realistische Betreuer: „Unsere Jungs sind nach den ersten Qualifikationsspielen schon recht erschöpft. Bis Ende Juni, so lange geht die Runde, muß die Mannschaft halt durchhalten.“ Noch liegen beide Clubs als Dritter (BSV) bzw. Vierter der Tabelle gut im Rennen um die drei Aufstiegsplätze.

Dann endlich setzte es für die Post noch das lang vermißte Erfolgserlebnis. Kurz vor Ablauf der 80minütigen Spielzeit, das Schlußresultat von 32:15 für den BSV 92 stand bereits fest, lag urplötzlich der graumelierte Englishman am Boden und dirigierte benommen seinen Mundschutz in die richtige Position. Ein schelmisches Lachen huschte über die angereiste Crew aus dem Osten, das freilich nicht lange währte. „Der ist doch mit einem Mitspieler zusammengeprallt!“ entfleuchte es dem trüben Schmidt. Tja, Rugby ist schon ein brutaler Sport. Jürgen Schulz