Die Gang vom Leipziger Platz

■ „Signale: Wir, die Nummer 1“, West 3, um 21.45 Uhr

Sie sind jung, sie sind rücksichtslos. Sie kommen sich vor wie die Robin Hoods der Großstadt. Ihre Raubzüge richteten sich anfangs nur gegen die besitzende Klasse. Die reichen Geldsäcke sind in diesem Fall jedoch kaum älter als die Banditen. Daß sie zuviel Geld besitzen, erkennt man an ihren schicken Jacken und an den Luxus-Walkmen. Die muß man ihnen wegnehmen, und das geht so: Die „Leipziger“ — so nennt sich die Jugendgang vom Leipziger Platz in Köln — stürmen eine U-Bahn, umstellen das Opfer und verlangen nach den Symbolen des jugendlichen Reichtums — Jacke ausziehen, Walkman her, Taschengeld raus. Zuerst hielten sie sich an Gleichaltrige, später kassierten sie Wegezoll, knackten Autos und räumten Wohnungen aus.

Heute sitzen 18 „Leipziger“ in Haft. Die Polizei vermeldet stolz, die Nummer eins unter den Kölner Jugendbanden zerschlagen zu haben.

Wenn ein Mythos zu zerbröckeln droht, sind die Möchtergern-Helden, die davon zehren, eher bereit, über ihre Taten zu erzählen. Jetzt, wo der Stern der „Leipziger“ im Sinken begriffen ist, gelang es Michael Möller und Peter Schran, mit einigen Mitgliedern der Gang über ihr Leben zwischen Straße und Spielhölle, zwischen Bruch und Bau zu reden. Daß sie sich ungeniert und offen zeigen, erspart dem Zuschauer die mühselige Prozedur eines verdeckten Interviews mit verzerrter Stimme.

So gelingen faszinierende Einblicke in das Nachtleben perspektivloser, selbstverliebter und tagträumender Jugendlicher.

Für die biedere Sendereihe Signale, die sich sonst mit pädagogischem Zeigefinger zu sozialen Themen äußert, ist der Film eine Vitaminspritze. Doch die Abstinenz von moralisierenden Positionen birgt auch Gefahren. Die Autoren sind von der Faszination der Gewalt derart überwältigt und auf ihren gelungenen Einstieg über alle Maßen stolz, daß sie selbstvergessen herumtaumeln und unreflektiert wiedergeben, was die Jugendlichen vortragen. Fragen zum sozialen Hintergrund, zum Warum der Einbrüche und Massenschlägereien fehlen fast völlig. Die Opfer bleiben unerwähnt.

Die Autoren scheinen davon auszugehen, daß beim bloßen Erwähnen des Milieus beim Zuschauer der Groschen fällt und sich ihm die Welt der Kinder vom Bahnhof Zoo von ganz allein auftut. Das mag bei den Älteren noch angehen, für die Jüngeren wirkt dieser Film wie eine Anstiftung dazu, eine Jugendgang zu bilden. Christof Boy