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Werden die Ersten die Letzten sein?

■ In der Oberliga Nordost trennen sich allmählich die Wege der Vereine: Bundesliga oder Amateurliga / Wenn Hansa Rostock die Bayern erwartet, gruselt's Victoria Frankfurt vor Aktivist Schwarze Pumpe ...

Frankfurt/Oder/Cottbus (taz) — „Jetzt werden sich auch die Journalisten freuen“, kündigte Rostocks Trainer und Öffentlichkeitsarbeiter Uwe Reinders einen folgenschweren Satz an. „Wir peilen ab sofort die erste Bundesliga an“, orakelte er vor zwei Wochen nach dem 3:1-Spaziergang beim Tabellenletzten FC Victoria Frankfurt/Oder.

Seine Spieler müssen den neuen Kurs des einzig erfolgreichen West- Coachs in der Ostliga mißverstanden haben: Wenige Tage später verloren die Hansa-Kicker im Ostseestadion ihr erstes Heimspiel gegen Rot-Weiß Erfurt mit 0:1. Und auch am 22.Spieltag blieb der Möchtegern- Bundesligist sieglos, erreichte nur ein 1:1 beim 13. in Cottbus. Uwe Reinders nun: „Manche denken wohl, das Heu wäre schon in der Scheune. Aber ich verlange bis zum Schluß Topleistungen.“

Dabei spekuliert der Exbremer und Rehhagel-Schüler bewußt mit dem nordöstlichen Pokalendspiel am 2.Mai in Berlin: „Ich bin froh über dieses Finale gegen Eisenhüttenstadt, bei dem alle mitspielen wollen. Da bleibt mir wenigstens ein letztes Druckmittel.“ Das scheint die Spieler nicht sehr zu jucken. Der Torschütze in Cottbus, Florian Weichert, war durchaus zufrieden mit einem Punkt. „Wir haben keine Rechenschieber einstecken“, blickt er in die Zukunft, „aber am Ende wird es schon zur Bundesliga reichen.“

Hansa Rostock hat fünf Punkte Vorsprung und die Poleposition vor dem Bundesligastart eingenommen: Die größten Zuschauerzahlen, auch wenn die Resonanz von 20.000 um die Hälfte zurückgegangen ist, ein finanzkräftiger Hauptsponsor und weit und breit keine kickende Konkurrenz in der Region machen den Hanseaten Mut. So könnten sie erreichen, was ihnen in vierzig Jahren DDR nicht vergönnt war: der Meistertitel. In den sechziger Jahren viermal Vizemeister stehen die Rostocker im „Jahr der Entscheidung“ ganz oben.

Ob sie dort auch bleiben, entscheiden die nächsten Wochen. Bisher verließ nur Axel Kruse den Verein, der bereits vor anderthalb Jahren über Berlin nach Frankfurt/Main zog. Mit dem US-Amerikaner Paul Caligiuri konnte gar ein interessanter WM-Spieler verpflichtet werden. Ein „Patenschaftsvertrag“ mit Werder Bremen sollte beiden sportlichen Nutzen bringen.

Aber der Vertrag ist inzwischen aufgekündigt, „weil wir nicht die zweitklassige Talentebude von Werder Bremen sind“ (Manager Gerd Kische). Mit Henri Fuchs verliert Hansa seinen besten Stürmer an den 1.FC Köln. Und Spielerberater Binninger wirft dem Hansa-Präsidium und Trainer Reinders vor, den Spielern falsche Versprechungen gemacht zu haben. „Ich habe Angst um meine Spieler“, heuchelt der Lübecker Berater von Libero März und Torwart Kunath, „mehrere haben Angebote von anderen Vereinen.“ Das ist nichts anderes als die Drohung, dem bereits verscherbelten Stürmer Fuchs weitere wichtige Spieler hinterherzuschicken.

Der Aufstieg von Hansa Rostock ist selbst für Verkehrsminister Krause bereits beschlossene Sache. Er läßt gerade prüfen, ob das Hansa- Team für seine Auswärtsflüge einen ausgemusterten NVA-Flugplatz nutzen kann. Vorher muß aber im Verein geklärt werden, daß der momentane Höhenflug nicht mit einer Bruchlandung endet.

Die stand dem Tabellenletzten in Frankfurt an der Oder unmittelbar bevor. Aber nach 2:14 Punkten besiegte die „Victoria“ völlig überraschend Lokomotive Leipzig (6.) mit 2:0 und erntete den höflichen Applaus der Trauerkulisse von höchsten 500 Zuschauern. Frankfurts Fußballer planen längst ihr Dasein in den Abgründen des Amateurkickens.

„Wir müssen aufpassen, daß wir die Gegner in den letzten Spielen nicht zum Tore schießen einladen“, befürchtete Verteidiger Hardy Duckert noch vor dem Leipziger Spiel, aber der Überraschungssieg richtet seinen Blick wieder nach vorn: „Vier Punkte trennen uns vom zwölften Platz und den Relegationsspielen um die zweite Bundesliga.“ Die allerletzte Partie gegen den FC Berlin im „Stadion der Freundschaft“ wird zum grotesken Schicksalsspiel der ehemaligen Armeefußballer gegen die Ex-Stasikicker. bossi

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