In der CDU brodelt es

■ Schonungslose Kritik von Schäuble/ Mit einer Interview-Offensive machen die Strategen der Parteireform gegen Kohl und Rühe mobil/ Sondersitzung des Parteivorstands anberaumt

Bonn (dpa/taz) — In der CDU beginnt das öffentliche Räsonieren über Krise, Überalterung und politische Perspektivlosigkeit der Partei. Am Wochenende begab sich der hessische CDU-Vorsitzende Walter Wallmann zurück, gleichzeitig machten die Parteireformer unter Führung von Heiner Geißler, Wolfgang Schäuble und Jürgen Gansäuer mobil. Inzwischen wird der CDU- Vorstand zu einer Sondersitzung Anfang Juni zusammengetrommelt, um über die Krise der Partei zu beraten.

Nach Ansicht von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat die CDU „allen Anlaß zur Selbstkritik“. In einem Interview des 'Spiegels‘, sagte Schäuble: „Notwendig ist eine völlig offene und schonungslose Diskussion über die Ursachen und über die Möglichkeiten, aus diesem Tal, in dem sich die Union zur Zeit befindet, wieder herauszukommen.“ Diese Diskussion könne niemanden — auch nicht Kohl — aussparen. Niemand in der CDU sei „sakrosankt“. Weiter sagte der Minister: Die „Minderung des für die Öffentlichkeit sichtbaren Gewichts an führenden CDU-Politikern ist derzeit nicht zu übersehen, ein Generationswechsel steht ins Haus“.

Kräftige Kritik am Zustand seiner Partei übte auch CDU-Fraktionsvize Heiner Geißler. Die CDU drohe ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, sagte Geißler der 'Welt am Sonntag‘. In einer innerparteilichen „Strategiedebatte“ müsse vor allem gefragt werden, wie die Christdemokraten ihre Glaubwürdigkeit bei den Wählern wiederherstellen könnten.

Von einer „außerordentlich prekären“ Situation seiner Partei sprach auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Ohne Erneuerung würde es „weiter bergab“ gehen, sagte der saarländische CDU-Chef der 'Bild am Sonntag‘. Töpfer und Geißler forderten ihre Partei auf, in erster Linie Lösungen für Probleme der Zukunft anzubieten. Gleichzeitig verlangte der Umweltminister einen politischen Generationenwechsel.

Nach Auffassung ihres Fraktionsvorsitzenden im niedersächsischen Landtag, Jürgen Gansäuer, habe die CDU die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland verschlafen und dafür bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz die Quittung bekommen. In einem Interview der 'Hannoverschen Allgemeinen Zeitung‘ sagte Gansäuer, die CDU müsse sich auf ihre alten Traditionen besinnen und wieder eine christliche und in den Gewerkschaften verankerte Partei sein, sonst gehe sie „kaputt“.

Der CDU-Politiker erinnerte daran, daß der vom Parteivorsitzenden Helmut Kohl abgelöste frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler rechtzeitig auf die Mängel hingewiesen habe. Geißlers Nachfolger Volker Rühe sei es nicht gelungen, der Partei das notwendige eigene Profil zu geben.

Nach Ansicht des Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse (CDA), Ulf Fink, gelten die Voraussetzungen nicht mehr, unter denen die christlich-liberale Koalition vor neun Jahren gebildet wurde. In einem Interview der in Berlin erscheinenden Tageszeitung 'Der Morgen‘ (Samstagsausgabe) forderte Fink die FDP auf, zu erkennen, daß der notwendige Aufbau der ostdeutschen Verwaltung und Infrastruktur nicht mit einer Senkung des Anteils der öffentlichen Hand am gesamten Wirtschaftsgeschehen erreichbar sei.

Der CDU-Politiker sagte, seine Partei müsse mehr herausstellen, daß sie der stärkste Regierungspartner sei. Er unterstützte die Forderung Heiner Geißlers nach einer Strategiedebatte in der Union. „Die CDU muß wieder eine Programmpartei werden“, erklärte Fink.