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INTERVIEWScheitern der Zweidrittelmehrheit an „stabiler Struktur“

■ Joachim Raschke, Soziologieprofessor in Hamburg, ist Autor einer Studie über die Grünen

taz: Herr Raschke, der Parteitag ist im Vorfeld zum Schicksalsparteitag erklärt worden. Es scheint, als habe er die Chance für einen Neubeginn verpaßt.

Joachim Raschke: Man wird wohl insgesamt von einem Scheitern sprechen müssen, korrigiert durch kleine Fortschritte bei der Strukturreform. Man muß die Schwierigkeiten der Grünen bedenken, bei allen ihren Glaubensfragen zu Strukturänderungen zu kommen, dann ist es ein kleiner Fortschritt, daß in der Frage der Trennung von Amt und Mandat immerhin eine einfache Mehrheit zustande gekommen ist. Doch die notwendige Zweidrittelmehrheit wurde verfehlt, und die Grünen scheinen auf Bundesebene nicht in der Lage zu sein, durchgreifende Strukturreformen zu erreichen. Auf Länderebene sind diese Erfahrungen durchsetzbar, bei den Bundesversammlungen mit ihren Zufallsmehrheiten offensichtlich nicht. Man muß hier auch das klare Verfahren des gemäßigten Linken Forums ansprechen, die wider besseres Wissen die Zweidrittelmehrheit verhindert haben. Die Realos ihrerseits haben die Mehrheit verpaßt, weil sie den Linken durch ihre Konfrontationspolitik im Vorfeld das Gefühl gegeben haben, sie seien hier nur Stimmvieh. In grandioser Verachtung der für eine Zweidrittelmehrheit notwendigen Minderheiten haben die Realos hier einen schweren Fehler begangen. Es macht jetzt gar keinen Sinn zu sagen, das nächste Mal wird es besser. Es gibt eine Unfähigkeit, den Mehrheitswillen der Partei auf Bundesebene zu realisieren. Das wird nur mit dem Instrument der Urabstimmung zu erreichen sein. Die Entscheidungen des Parteitags hingegen waren wieder einmal vom Rückfall auf die Identität und Gruppenerhaltungspolitik bestimmt. Nach außen hin wird man von einem klaren Scheitern sprechen müssen.

Vor den Sprecherwahlen wurde bei der politischen Erklärung ein Kompromiß zwischen Realpolitikern und gemäßigten Linken erreicht. Kann das eine tragfähige inhaltliche Basis sein? Oder handelt es sich da nicht eher um taktisch bestimmte faule Kompromisse?

Ich glaube nicht, daß es sich hierbei um faule Kompromisse handelt. Der Kompromißweg drückt den Konsensbereich der Grünen aus. Die Partei hat — trotz aller Kritik an den Strömungen — ihre stabile Struktur in den großen Gruppierungen von Realos und linkem Forum. Inhaltlich ist es das, was achtig Prozent der Partei mittragen können. Eine Neudefinition der Grünen, etwa durch die Ökolibertären oder die Aufbruch-Gruppe, findet aller Wahrscheinlichkeit nach keine Mehrheit.

Mit Christine Weiske ist zwar eine Grüne aus den neuen Ländern zur ersten Sprecherin der Gesamtpartei geworden, der Parteitag hat die Integrationsprobleme der Ost-Grünen aber nur hinter den Kulissen debattiert.

Unter dem Gesichtspunkt der Ost-West-Integration ist die Wahl zu begrüßen, weil es der Parteitag ansonsten nicht geschafft hat, die Erfahrungen und Motive der Ost- Grünen ernst zu nehmen. In den Strukturfragen beispielsweise wurde versäumt, die spezifischen Erfahrungen der Ost-Grünen mit der Ämterhäufung unter dem SED-Regime auch nur anzusprechen. So kam ein Teil der Sperrminorität auch von den Delegierten aus den neuen Ländern, die sich hier nicht angesprochen fühlten und die zum Teil einige basisdemokratische Grundsätze so hochhalten wie die West-Grünen vor zehn Jahren. Das Desinteresse für den Erfahrungshintergrund der Ost-Grünen und die Tatsache, daß man 1990 die Deutschlandfrage einfach verschlafen hat, ist jetzt durch die Wahl einer Ost-Grünen zur Vorsitzenden überkompensiert worden.

Als Negativsignal nach Osten kann wohl bewertet werden, daß die Grünen auch nicht im Ansatz eine Debatte über die Probleme der neuen Länder und den politischen Ansatz in dieser Frage geführt haben.

Ich würde das nicht überbewerten. Ich halte das schlicht gesagt für ein Organisationsproblem des Parteitags, nicht um ein Ausweichen vor der inhaltlichen Diskussion. Den Grünen ist bewußt, daß sie Antworten finden müssen auf die Fragen der Deutschlandpolitik, des Verhältnisses der alten zu den neuen Ländern, Deutschlands Stellung in der Welt. Bei dem Versuch, Basisdemokratie in solchen Großveranstaltungen zu organisieren, kommt die inhaltliche Debatte immer zu kurz. Deshalb sind die Parteitage auch nicht repräsentativ dafür, was an wichtigen Meinungen in der Partei vertreten ist.

Wie bewerten Sie das Scheitern Antje Vollmers bei den Sprecherwahlen?

Das war eine Auseinandersetzung zwischen den Medien und der Basis der Grünen, und die Basis hat sich in dieser Auseinandersetzung durchgesetzt. Antje Vollmer hat außerordentliche Verdienste um die Partei, aber sie hat eine relativ geringe Verankerung in den Denkgewohnheiten, Gruppenstrukturen und Mentalitäten der Partei. Sie wird eher von außen gestützt als von innen getragen. Interview: Matthias Geis

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