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FÜRLESBEN,SCHWULE,HETERASUNDHETEROS  ■  GEISTERSTUNDE mit S/M

Meine Güte, was ich denn da bloß für ein Gespenst abschleppe, schimpft meint Freund Joachim regelmäßig in der Lederbar Toms, wenn ich nach einigen Flaschen Flens wieder mal meine strengen Auswahlkriterien über Bord geworfen hab'. Spukgestalten ganz anderer Art weiß Joachim wiederum zu schätzen: Im Toms verkehren schließlich auch die schwulen Mitglieder der Gruppe »Quälgeist«, einem Zusammschluß homo- und heterosexueller Männer und Frauen mit der gemeinsamen Vorliebe für sadomasochistischen Sex.

Heute abend laden die rund hundert Berliner Quälgeister zum zweiten Mal zu einer Party — und überraschend erneut — ins alternative Schwulenzentrum SchwuZ. Gerade dort, wo sonst trällernde Tunten und frisch gefönte Studenten die Szene bestimmen, erscheint der Aufmarsch von strengen Dominas, unterwürfigen NovizInnen und ausstaffierten Lederkerlen auf den ersten Blick wie Blasphemie.

Doch Grenzen vermischen sich bekanntlich schnell: Schon auf der ersten S/M- Fete im Januar stellte sich heraus, daß viele aus dem SchwuZ-Umfeld das Geschehen nicht nur schüchtern hinterm Tresen beobachteten, sondern aktiv bzw. passiv in das Geschehen eingriffen. »Einen Darkroom wollen und haben wir nicht«, heißt es zwar erst enttäuschend auf dem Einladungskärtchen, im Klartext bedeutet das jedoch nichts anderes, als daß im gesamten SchwuZ Hängeschaukeln, Böcke und anderes Gerät zur Verfügung stehen: Nicht etwa zum angucken, sondern für lustvoll ausgelebte Dominanz- und Unterwerfungsphantasien als Alternative zum öden Eierkuchensex.

Während als fortschrittlich bekannte Aufklärungsbücher wie »Make it happy« oder »Sexfront« das Thema S/M gänzlich aussparen, zählte der Psychologe Alfred Adler den Sadomasochismus zu den »scheußlichsten Verirrungen«. Noch heute sieht die Zeitschrift »konkret« einen Zusammenhang zwischen S/M und Kriminalität, wirft die Frauenbewegung seinen FreundInnen faschistoide und militaristische Handlungsmuster vor. Die Freiwilligkeit, mit der Herrschaft und Unterdrückung auf Zeit gespielt und sinnlich ritualisiert wird, wird dabei übersehen.

Um so erstaunlicher das Selbstbewußtsein der Quälgeister, die sich weder als politische Gruppe verstehen, noch für Aufklärung und mehr Akzeptanz in der Gesellschaft kämpfen. Ihnen geht es allein darum, lustbetont zu feiern und auf unkomplizierte Weise die richtigen Sexpartner zu finden. Um Verständnis bitten sie allein dann, wenn zur S/M-Party heute abend trotz eines Eintrittspreises von zehn Mark die »Kleinspielzeuge« selbst mitzubringen sind.Micha Schulze

Für Menschen, die über ihre S/M-Phantasien lieber erst mal reden wollen, gibt es einen monatlichen Gesprächskreis: Jeden 1. Freitag um 20.30 Uhr in der AHA am Kreuzberger Mehringdamm 61

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