Bei Nacht und Nebel aus dem Haus verschleppt

■ Zwangsumgesiedelte aus dem ehemaligen innerdeutschen Grenzgebiet kämpfen um ihre Rehabilitierung/ Einigungsvertrag amputierte Gesetz

Erfurt. „Einpacken, aber schnell!“ Magdalene erinnert sich genau an den frühen Morgen im Oktober 1961. Ihr Gehöft im Thüringer Dörfchen Faulungen war von Polizei und einer Kampfgruppe umstellt. „Sie haben gar nichts zu fragen, Sie müssen fort. Das ist ein Ministerratsbeschluß“, wurde ihr gesagt. Die „Aktion Kornblume“ war angelaufen. Hinter dem Namen verbarg sich eine Nacht- und Nebelaktion, der im Grenzgebiet zu Westdeutschland bereits 1950 und 1952 ähnliche Aktionen vorausgegangen waren. Rund 50.000 BewohnerInnen des ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifens wurden bis in die 80er Jahre zwangsumgesiedelt.

Als „haltlos“ bezeichnete die DDR-Staatsagentur 'adn‘ im Jahr 1952 den „feindseligen Charakter“ von „Gerüchten“: „Wie aus wohlunterrichteten Kreisen verlautet, sind keinerlei Aussiedlungen aus den Ortschaften, die im Fünf-Kilometer- Gürtel oder in dem 500-Meter-Streifen an der Demarkationslinie liegen, vorgesehen“, meldete 'adn‘.

Die Wirklichkeit sah anders aus: In Autos mit innen abmontierten Türgriffen, Lastwagen und Viehwaggons wurden Familien verladen und in Städte im Inneren der DDR gebracht. „Vorsorglich waren Kranken- und Leichenwagen mitgebracht“, berichtet der „Bund der in der DDR Zwangsausgesiedelten“ (BdZ) in einer Dokumentation. Erst nach der Wende konnten sich die Menschen artikulieren, die oft als „Schieber“ oder „Saboteure“ denunziert wurden.

Die „sofortige moralische Rehabilitierung“ forderte am Sonntag die bisherige BdZ-Präsidentin Ilona Rothe vor rund 1.000 TeilnehmerInnen beim zweiten Kongreß des Bundes in Erfurt. „Nichts im Einigungsvertrag vorgesehen“ — mit dieser Antwort wurde ein Zwangsumsiedler in einem mecklenburgischen Liegenschaftsamt abgespeist. Zu Recht: Denn bis heute fehlt die gesetzliche Grundlage. Nur Opfer von Unrechtsurteilen haben juristischen Anspruch auf Entschädigung. Was sich in den Nächten der Aktionen „Rose“, „Ungeziefer“ oder „Kornblume“ abspielte, war bloßes Verwaltungshandeln: Regierungserklärungen, Verordungen, Vollzugserklärungen.

Auch andere Zwangsumgesiedelte berichteten, auf welche Widerstände hinsichtlich Rehabilitierung sie seit der Wende gestoßen seien. Hauptpunkt ihrer Kritik: Das von der DDR-Volkskammer im August 1990 beschlossene Rehabilitierungsgesetz sei durch den Einigungsvertrag wesentlich amputiert worden und sichere nur Opfern gerichtlicher Entscheidungen Gerechtigkeit zu. „Diese gesetzlichen Regelungen sind absolut unbefriedigend“, sagte auch der Thüringer Ministerpräsident Josef Duchac (CDU). Der Regierungschef des Landes mit der längsten ehemaligen „Staatsgrenze West“ fordert Gesetze, nach denen auch Opfer von Verwaltungsentscheidungen entschädigt werden.

Die Zwangsumgesiedelten drängt die Zeit: Noch sind viele ihrer Grundstücke ehemaliges Volkseigentum, das nicht privatisiert wurde. „Rückgabe vor Entschädigung“ fordert BdZ-Chefin Rothe. Aber viele wollen nicht zurück. Sie haben nur noch Grund und Boden. Gehöfte und Häuser wurden oft kurz nach der Räumung geschleift. Die materielle Entschädigung ist nur ein Teil. Ilona Rothe klagt, sie habe seit 1989 drei Regierungen erlebt: „Keine war in der Lage, moralische Rehabilitierung auszusprechen.“ Thomas Schiller (dpa)