Schiffbruch auf dem Teerhof

■ Das Wirken der Gezeiten auf dem starken Inselkörper / Graubraune Kästen für mittlere Kreisstadt / taz-Reihe Architektur (5)

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Vorsicht Architektur

Was auf dem Teerhof unter dem Segel „ Maritimes Wohnen im Herzen der Stadt “ verkauft und jetzt langsam ziegelrote Realität wird, könnte genau so gut in einer mittleren Kreisstadt stehen und mit seiner mittelmäßigen Vorstadtarchitektur den mittelprächtigen Blick auf ein Mittelgebirge verstellen. Es hat mit den angeblichen Planungszielen und dem ursprünglichen Bauprogramm nichts mehr zu tun.

Da, wo früher Schiffsrümpfe geteert wurden und schon einmal etwas voll in die Hose ging, als hier 1739 der als Schießpulverlager genutzte Brautturm in die Luft flog, wurde jetzt aufgeräumt. Da, wo anstelle der bescheidenen Lager-und Bürgerhäuser noch zu böser Letzt Platz für ein protziges Nazi-Regierungszentrum gemacht werden sollte und da, wo noch kurz vor Kriegsende die Bomben alles plattgemacht haben, da wurde seit dem Ausbruch des Wirtschaftswunders mit Wolkenkuckucksheimen und Wolkenkratzern zurückentworfen.

Auf der Strecke blieb leider auch der einzigartige Vorschlag des Luxemburger Architekten Leon Krier (siehe die zwei Abb. oben), der — obgleich er überall in der Welt lebt und arbeitet — einfühlsam dem genius loci der Gegebenheiten nachspürte. Er sah bei seiner städtebaulichen Lösung den gesamten Weserraum und gestaltete die Insel zur Stadt hin zusammenhängend. Bremen lag in seinen Plänen wieder an der Weser. Mit seiner Idee eines geschützten, zentralen Platzes sollte eine Agora für eine aktive Öffentlichkeit und gleichzeitig Raum für Handel und Wandel geschaffen werden.

Nun entstehen stinknormale 220 Einheiten zu Preisen zwischen 3.000 und 5.000 Mark pro Quadratmeter Wohnfläche. Oben teurer! 30.000 Mark für den Stellplatz, 5 Prozent Zuschlag ab Mai. Macht für die 75 Quadratmeter Wohnfläche von Herrn und Frau Sengstake mit Auto und Hund (Küche 8, Schlafzimmer 14,5) runde 30.000 Mark. Und das “für“ — so die Präambel des Bauwettbewerbs, der in den 80iger Jahren unter den Bremer Architekten abgehalten wurde (alle aufstehen und mitschunkeln!) — “eines der schönsten Areale Bremens und den formal starken Inselkörper, welcher das Wirken der Elemente Wasser und Wind erlebbar werden läßt und als Halbinsel durch das Wirken der Gezeiten im Strom und zudem durch die Nachbarschaft zu den Kernbereichen der historischen Alt-und Neustadt gekennzeichnet ist“.

Für 12,7 Millionen hatte die Stadtgemeinde ihr Filetgrundstück einer privaten Bauprojektgesellschaft mit beschränkter Haftung an das Seemannsherz (siehe oben) gelegt. Die Stadt

Es ist Zeit zu überlegen, was ein Haus ist, was eine Straße ist, was ein Monument und ein Platz ist

mußte aber selbst für die Erschließung sorgen und jetzt auch noch für eine neue — und nicht gerade billige — Fußgängerbrücke in die eigene, leere Tasche greifen.

Dabei konnte man durchaus zwei Wege gehen: Entweder maritim konservativ und etwas melancholisch nach rückwärts gewandt — und damit durchaus bremisch. Dann hätte das Ergebnis der Planungen nach Hafen riechen müssen: Kleine Häuser für zugereiste Schickimicki und ein paar Tageborn, bunte Schiffe, Friesennerz, Labskaus, Bier und eine Portion Disneyland wie im Schnoor. Oder man hätte den Blick vom Hafen auf die See und nach „vorn“ auf die klassische Moderne der 20iger Jahre richten müssen.

Le Corbusier, der berühmte französisch-schweizerische Ar

Hier bitte das

Foto mit der Skizze

von der

Flußinsel mit Häusern

(von oben)

chitekt, und Lehrer ganzer Generationen von Architekten, sah in seiner Zeit die Vorbilder für wirklich moderne städtische Wohnhäuser in den Schnelldampfern, die damals noch die Meere durchpflügten: Kleine, bequeme Appartements, viel Service rund um die Uhr, Frühstück ans Bett, eine Wäscherei, eine Telefonzentrale, ein Kino, eine Bücherei, ein, zwei Speisesäle in denen man verwöhnt wurde, viel Kommunikation, viel High-Tec. Kurz, eine Kombination aus Traum-und Raumschiff. Auf dem Teerhof gibt es — außer einem 24-Stunden Wachdienst mit Monitoren in der Tiefgarage — keine einzige Gemeinschaftseinrichtung.

Als Grundlage für den Bauwettbewerb diente in Bremen ein entsprechender städtebaulicher Ideenwettbewerb, der uns En

deder siebziger Jahre zwar “das markante Ergebnis der strombegleitenden Schiffrumpfartigen Form des Gesamtkörpers“ bescherte, das dann die Architekten aber eigentlich nicht richtig nutzen konnten: vorgeschrieben wurden lange, uniforme Blöcke mit Satteldächern, nicht schmale, differenzierte Einzelhäuser mit Giebeln.

Daran war die Behörde und ein Gestaltungsbeirat beteiligt: Es wurde ein Bebauungsplan gepinselt, “welcher mit seinem Inhalt Beweis dafür ist, daß gereifte, demokratischer Bürgersinn ein ausgewogenes Verhältnis von Rücksichtnahme und Individualität und damit demokratische Baukultur hat.“

Damit das mit der Rücksichtnahme nicht zu schwierig wurde und das mit der Baukultur dann auch mit Sicherheit klappt, wurde in diesem Bebauungsplan vorsorglich unter anderem die Farbe des Sichtmauerwerks “in mitteldunklem Rot bis Graubraun“ festgelegt und waren unter anderem als Dachflächen “nur Hohlpfannen in Farbannäherung an das aufgehende Mauerwerk zulässig“.

Holde Bürokratie und Einfalt! Damit auch wirklich kein einziger Geniestreich eines auch bundesweit oder gar international anerkannten Architekten diese niedersächsische und pseudohanseatische Erdverbundenheit stören konnte, durften nur zugelassene Bremer Architekten mitdenken und die Wohnungen für ein Klientel gestalten, das den Nerz nach innen trägt: Badezimmer in Carrara-Marmor, aber um Himmels Willen nicht auffallen!

Was da also in der Gestalt von Bremer Klaben in Kastenform so behäbig, ordentlich und sauber aus der Tiefgarage wächst und mit vorfabrizierten Ziegelbögen auf althandwerklich und anspruchsvoll getrimmt wird, ist also wirklich das Ergebnis langen, angestrengten Bremischen Grübelns. Hätten Sie das erkannt? Hoffnung für internationale Kunstsinnige verbreitet auf dem Teerhof nur noch die Pressemappe des Neuen Museum Weserburg — ein Haus, das in einem anderen Geist ausgebaut und in einem anderen Geist geführt wird. Wenn dieses Jahr im September das Eröffnungsspektakel vorbei ist, und gleichzeitig die ersten Insulaner ihre Wohnungen beziehen, werden Stifter und Biedermänner miteinander auskommen müssen. Viel Spaß! urbi et orbi