Sieg durch k.o. in der ersten Runde

■ Bemerkungen zu „Kulis Buchclub“, Sonntag, RTL plus

Kulis Buchclub in RTL wurde vergangenen Sonntag umfunktioniert in eine Geburtstagsfeier für Hans-Joachim Kulenkampff. Der Unterhaltungskuli der Nation wurde siebzig. Gratulant war Thomas Gottschalk. Eine Überraschung für Kuli. Nach ein paar Sekunden schon war klar: Jetzt beginnt der Krieg ums Publikum. Gottschalk machte auf naßforsch: Er habe einfach kommen müssen, ihm zu gratulieren, schließlich handele es sich ja vielleicht um die letzte Gelegenheit. Kuli lachte und gab ihm recht. Klar, schien er zu grinsen, wer weiß in fünf Jahren noch, wer Thomas Gottschalk war. Er sagte das nicht, aber Gottschalk hatte ihn verstanden. „Du gibst mir Hoffnung“, schmalzte er, „daß man es auch lange machen kann in unserem Metier.“ Kuli nickte weise.

Gottschalk k.o. — Gottschalk klagte. „Er werde so stark angegriffen, daß er sich jedes Wort überlegen müsse. Kritik, Publikum, Sender, alle dröschen auf ihn ein, wenn ihnen mal was nicht passe. Als er einmal aus Daffke sagte, er habe Angst vor Männern mit Hut und der Toilettenrolle im Nacken, da habe sich die israelitische Kultusgemeinde beschwert und ihn des Antisemitismus verdächtigt. Das sei doch verrückt. Er sei wirklich erschrocken damals. „Wann bist du das erste Mal erschrocken, Kuli?“

„Als ich mich im Fernsehen gesehen habe.“ Kuli geht auf Gottschalks dummes Geschwätz gar nicht ein, lehnt sich zurück und redet von seinem Lieblingsthema, von sich selbst: „Naja, zuerst habe ich mich auf der Schauspielschule erschrocken. Da spielte man mir ein Band vor mit meiner Stimme. Ich habe mich nicht erkannt. Später kam das Fernsehen, und ich war zu Tode erschrocken. Gut, man weiß, man ist kein Beau, aber so unmöglich hat man sich dann doch nicht gesehen. Das war ein schwerer Schlag.“ Er lacht. Das Publikum auch.

Kuli nimmt sich wichtig. Nicht, weil er sich für so außerordentlich hält, sondern weil er gemerkt hat, daß die liebevolle Ironie, mit der er sein Ego streichelt, gut ankommt. Wenn er von sich erzählt, erzählt er von allen anderen. Jeder erschrickt vor seinem Bild. Jeder, der nicht dumm ist vor Eitelkeit. Wenn Kulenkampff erschrickt, erschrecken wir alle. Wie er erschrickt, das hilft uns. So heiter und gelassen wie er möchten wir auch mit unseren Fehler und Ängsten umgehen. Gottschalk dagegen: ein Handtuch, eine Charaktermaske. Gegenüber fernsehungewohnten Kandidaten die große Klappe. Bei Kulenkampff saß er nach zehn Minuten zusammengekauert in seinem Sessel, schielte nach seinem Spickzettel und hatte nur Angst, seine Einsätze zu verpatzen.

In seinen besten Zeiten, erzählt Kuli, habe er im Monat vierzehn Morddrohungen — „abstechen sollte man dich, du linke Sau“ — bekommen, und ein halbes Dutzend Sendungen habe unter starkem Polizeischutz stattfinden müssen. „Das ist deutsche Fernsehunterhaltung, wenn du den Mund aufmachst“, lacht er. „Weißt du, die Leute haben doch die Schnauze voll vom Fernsehen. Von allen. Das stinkt denen alles. Da wird doch nichts mehr gesagt. Kein freier Satz...“

Gottschalk ist ruhig. Er ist mickrig geworden. Gekränkt. Kulenkampff, zehn Zentimeter kleiner, blickt auf ihn herab und meint bissig gütig: „Daß dich das so trifft. Mußt du jung sein.“ Nein, Gottschalk ist nicht jung, sondern unfähig. Der Grund ist einfach. Gottschalk nimmt das Fernsehen zu ernst. Er hält sich für wichtig. Kulenkampff dagegen hält diesen ganz Showmaster- Quatsch für eine der leichtesten Übungen. „Ja, wenn ich Sammy Davis jr. wäre, tanzen und singen, ein paar Instrumente könnte, ein richtiges Showtalent wäre, dann würde ich ernst nehmen, was ich da treibe. Aber so... Herauskommen auf die Bühne ,Meine Damen und Herren‘ sagen, von meinen Gewichtsproblemen reden, der einen Kandidatin ein wenig schmeicheln, was ist das schon?“

Gottschalk starrt ihn an. „Mann, da ist der Kerl Deutschlands beliebtester Fernsehstar und träumt davon, ein großer Schauspieler zu sein. Der bringt sich doch um sein Lebensglück.“ Kulenkampff lacht.

Er sagt dem unsicheren Bündel nicht, daß der völlig verloren ist, der sein Lebensglück davon abhängig macht, was die anderen von ihm halten. Er sagt ihm auch nicht, daß er nie dumm genug war, sich von den anderen sagen zu lassen, was er kann, und was er nicht kann. Er braucht es nicht zu sagen. Die großen Worte kann er sich und uns sparen. Der Unterschied zwischen einem außengeleiteten Riesenbaby und einem heiteren Souverän war kaum jemals so zu sehen wie am Sonntag abend. So gesehen, ganz sicher eine Sternstunde des Fernsehens.

Leider ist ein Kulenkampff-Nachfolger nicht in Sicht. Die neuen nehmen das Fernsehen und ihre eigene Rolle darin zu wichtig. Die Vorstellung, daß zehn, fünfzehn Millionen Menschen jede ihrer Handlungen begleiten, lähmt sie. Der kategorische Imperativ Kants hat keine besseren Menschen gemacht, der der Einschaltquoten keine besseren Showmaster.

Wir gratulieren Hans-Joachim Kulenkampff. Guten Abend, Kuli, gute Nacht deutsche Fernsehunterhaltung. Franz Leinen