Mit der Eindeutigkeit eines delphischen Orakels

Nach dem G-7-Treffen eine inhaltsleere Kompromißformel/ G-24-Länder beklagen auf dem Weltfinanzgipfel die politische Mittelvergabe an Osteuropa  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industrienationen haben am Sonntag zum Ende ihrer Beratungen über die Weltwirtschaftssituation in Washington erneut ein Kommunique mit der Eindeutigkeit eines delphischen Orakelspruchs herausgegeben. Darin wird der innerhalb der sogenannten G-7 Gruppe heftig umstrittene Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Geldwertstabilität so umschrieben, daß sich die einzelnen Länder zur Stützung ihrer Wirtschaftspolitik die jeweilige Formel herauspicken können.

Nach der Verpflichtung auf den Grundsatz der „Politikkoordination“ ließ die Abschlußerklärung die Möglichkeit offen, daß einige Länder zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft die Zinsen senken können, ohne jedoch das wiedervereinigte Deutschland zur gleichen — inflationstreibenden — Praxis zu zwingen. In den Auseinandersetzungen um eine Zinssenkung hatten sich am Sonntag die USA — und mit einigen Abstrichen Frankreich, Kanada, Italien und Großbritannien — auf der einen sowie Japan und Deutschland auf der anderen Seite gegenübergestanden.

Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl erklärte nach dem Treffen, die USA hätten die deutsche Position zur Zinsrate verstanden. Vorher hatte schon Finanzminister Waigel nach dem kurzen Empfang bei Präsident George Bush und seinen Gesprächen mit US-Notenbankchef Greenspan stolz darauf hingewiesen, daß Deutschland an seiner Stabilitätspolitik festhalten werde. Auch über den gestiegenen Dollarkurs gaben sich Waigel und Pöhl gelassen und vertraten die Ansicht, daß die derzeitige Dollarstärke mehr psychologische als ökonomische Gründe habe.

Auch die USA gaben sich dem Anschein nach mit der verabschiedeten „mittelfristigen Strategie“ zufrieden, in der die „Wichtigkeit der Geld- und Steuerpolitik als Basis für niedrigere Zinsen und eine dauerhafte globale wirtschaftliche Erholung mit Preisstabiliät“ betont wurde. Als US-Finanzminister Brady vor Journalisten erklärte, das G-7-Kommunique sei doch „ziemlich klar“, hatte er allerdings nur die Lacher auf seiner Seite.

Die USA hatten gegenüber Deutschland und Japan auf wachstumsfördernde Maßnahmen gedrängt, weil ein Rückgang der dortigen Konjunktur gegen Ende des Jahres die für diesen Zeitraum erwartete wirtschaftliche Erholung in den USA wieder gefährden würde. „Wegen der hohen Zinsen bei sich abschwächendem Wachstum“, so liest sich die jüngste Analyse der US-Forschungsgruppe „Conference Board“, „steigt außerhalb der Vereinigten Staaten das Rezessionsrisiko“ — mit weiteren Gefahren für die USA. Außerdem, so erklärte Finanzminister Brady, werde eine Schwächung der Konjunktur in den Industrieländern die Fähigkeit der lateinamerikanischen, afrikanischen und osteuropäischen Staaten zur Durchführung von Wirtschaftsreformen schwächen.

Zum Auftakt des Washingtoner Finanzgipfels von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) waren am Sonntag in Washington auch Vertreter der G-24-Gruppe von Ländern der dritten Welt zu internen Beratungen zusammengekommen. Diese Staaten äußerten dabei erneut ihre Besorgnis, daß Industrieländer, IWF und Weltbank ihre Mittel zu sehr auf Osteuropa konzentrieren und dabei die Entwicklungsländer mit ihren Problemen vernachlässigen.

Zusätzlich zu den Schuldenerleichterungen für Polen in Höhe von etwa 16 Milliarden Dollar werden die Länder Osteuropas allein in diesem Jahr 17 Milliarden Dollar erhalten. Kritisiert wird diese Kreditvergabe an Osteuropa von der G-24 vor allem, weil diese Länder im internationalen Vergleich trotz ihrer Bedürfnisse zu den sogenannten middle-income countries gehören, deren Situation im Vergleich zu den ärmsten Ländern noch rosig ist.

Hinter dieser Kritik steht der Vorwurf der dritten Welt, daß sich die internationalen Finanzinstitutionen in ihrer vergleichsweise großzügigen Mittelvergabe an die Länder Osteuropas nach den politischen Prioritäten ihrer größten Geldgeber USA und Westeuropa richten und nicht nach den Anforderungen in den jeweiligen Empfängerländern. Damit würden IWF und Weltbank nach dem Ende des Kalten Krieges wieder zu ihren Ursprüngen zurückkehren.