Jugoslawiens Armee greift erneut ein

Belgrad (taz) — Einheiten der Sozialistischen Volksarmee besetzten gestern das Dorf Kijevo nahe der dalmatinischen Adriaküste. Das mehrheitlich von Kroaten bewohnte Dorf liegt im „Autonomen Gebiet Krajina“, das wiederum eine Serbenenklave in der Republik Kroatien darstellt. Zum aktuellen Konflikt kam es, nachdem das kroatische Innenministerium versuchte, einen Polizeiposten in das Dorf zu verlegen. Die Armee soll nun nach dem Willen des Staatspräsidiums Zusammenstöße zwischen den verfeindeten Volksgruppen verhindern.

Kraijna wurde Anfang des Jahres kurzerhand für unabhängig erklärt und die Verfassung der Republik Kroatien außer Kraft gesetzt. Deshalb gab es in der Region mehrmals bewaffnete Zwischenfälle mit Toten und zahlreichen Schwerverletzten. Die kroatischen Behörden haben bisher die Unabhängigkeit der Region nicht anerkannt.

Neu an diesem plötzlichen Truppenaufmarsch der Armee ist die Tatsache, daß diesmal keine nationalistischen Auseinandersetzungen vorausgegangen waren. Stipe Mesic, Kroatiens Vertreter im kollektiven Staatspräsidium, stellte gestern vor Journalisten die Frage, wo nun die Armee stehe. Angesichts ihres Eingreifens auf seiten der Serben kommentierten die kroatischen Tageszeitungen in scharfem Ton die Ereignisse: Fiele das kroatische Kijevo an die Serben, dann folgten bald die Hafenstädte Split, Zadar und zuletzt die Landeshauptstadt Zagreb. Dies dürfe nicht zugelassen werden.

Seit kurzem kleben an den Hauswänden der kroatischen Landeshauptstadt Plakate, auf denen alle Männer ab 18 Jahren aufgerufen werden, freiwillig den neu ins Leben gerufenen „unbewaffneten Einheiten zum Schutz der Heimat und Nation“ beizutreten. Die unbewaffnete Armee soll bereits 200.000 Freiwillige zählen, glaubt man dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, dem letzte Woche der sprachliche Ausrutscher über die Lippen kam: „Unsere neue Armee wird, wenn nötig, auch mit der Waffe in der Hand unsere Heimat verteidigen.“ Roland Hofwiler