Sowjets hinterlassen ökologische Zeitbombe

Aus finanziellen Gründen werden die Umweltsünden der abziehenden Sowjettruppen vertuscht/ Regierung Brandenburgs will „positive Anreizstruktur“ schaffen/ Devise: „Finderlohn statt Aufrechnung“/ Schaden geht in die Milliarden  ■ Von Ingomar Schwelz

Berlin (ap) — Verseuchte Böden, wilde Mülldeponien, plattgewalzte Wälder und vergammelte Kasernen — die abziehenden sowjetischen Truppen hinterlassen in Ostdeutschland ein ökologisches Desaster. Der finanzielle Schaden geht nach Schätzungen in die Milliarden. Entgegen allen Bekundungen behindern die Sowjets die Auflistung der von ihnen angerichteten Umweltkatastrophe, um Bonn keinen Schadenersatz zahlen zu müssen. Die brandenburgische Regierung nennt die sowjetischen Militärs offen „Meister im Tarnen und Täuschen“.

Ein bestialischer Geruch steigt auf von der Kläranlage vor den Toren der sowjetischen Lager 1 und 2 an der Peripherie der brandenburgischen Garnisonsstadt Luckenwalde. Rainer Weigt zeigt auf die zahlreichen Autowracks und sagt bitter: „Das ist ihre persönliche Dreckecke.“ Der Umweltbeauftragte des Kreises spricht von den sowjetischen Soldaten.

Seit Monaten benutzen sie die Kläranlage als Müllkippe. Altöl, Munition, Abfälle aller Art entsorgten sie hier. Die Anlage ist längst kaputt, neben dem Öl sickern täglich gut 1.000 Kubikmeter ungeklärten Wassers in das Grundwasser. Gleich daneben fließt die Nuthe, die den Potsdamern als Trinkwasserreservoir dient.

Überall zwischen Ostsee und Thüringer Wald kommt das wahre Ausmaß der ökologischen Verwüstung durch die „Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte“ seit dem Zweiten Weltkrieg immer deutlicher zum Vorschein. Während die deutschen Behörden beinahe verzweifelt den Dialog mit der heimkehrenden Soldateska suchen, um die Misere überhaupt erfassen zu können, übt sich diese in der alten militärischen Kunst des Vertuschens. Ohne die Hilfe der Militärs wird die Blindgängersuche in den total mit Munition durchsetzten Böden zu einem Vabanquespiel. „Die ökologische Zeitbombe tickt unaufhaltsam“, heißt es im Potsdamer Umweltministerium.

Schon die Diskrepanz in der Frage, was denn Umweltverschmutzung überhaupt sei, scheint unüberbrückbar. Die Sowjets, so der Sprecher des Ministeriums, Florian Engels, schütteten ihr Altöl jetzt weniger auf das blanke Erdreich, sondern ließen Löcher in den Boden graben und das Öl in diese einfließen. „Dann ist es für sie keine Umweltverschandelung mehr“, sagt Engels.

Die Vogel-Strauß-Politik liegt im deutsch-sowjetischen Abkommen über die bis 1994 angestrebte Heimkehr der Westgruppe begründet. Darin wird festgelegt, daß die von den sowjetischen Streitkräften auf eigene Kosten geschaffenen Werte in Ostdeutschland mit den von ihnen verursachten Schäden an den Liegenschaften verrechnet werden. Die Sowjets schätzen den Wert ihrer Objekte auf rund zehn Milliarden Mark. Die deutsche Seite spricht demgegenüber von Umweltschäden in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen.

Es sei verständlich, meint Engels, daß die „Verrechnerei“ zu nichts Gutem führen könne. „Wenn die Altlastenrechnung teuer zu werden droht, üben sich die Sowjets verständlicherweise in der alten militärischen Kunst des Tarnens und Täuschens.“

Die Postdamer Regierung will eine „positive Anreizstruktur“ unter der Devise „Finderlohn statt Aufrechnung“ für die Sowjets schaffen. Damit sollen Umweltschandtaten, wie Ende Januar bei Luckenwalde, verhindert werden: Die Sowjets hatten nach dem Absturz einer Militärmaschine den kerosinverseuchten Boden kurzerhand angezündet.

Um ihre Munition loszuwerden, haben die Militärs die einfachste Art der Entsorgung gewählt: Sie schießen die Bestände einfach in die Luft. „Die schießen immer noch volle Pulle weiter“, mosert Pfarrer Flach. Auf der Landstraße bei Märzdorf im Süden des Landes Brandenburg finden Passanten in diesen Tagen ebenso viele Patronenhülsen wie Gänseblümchen.

Allein in Brandenburg lagern noch 300.000 Tonnen Munition. Auf fünf Prozent der Fläche des Landes rund um Berlin stehen auf dem Boden der fremden Armee 1.900 Kampfpanzer. In Erfurt kritisierte kürzlich eine SPD-Arbeitsgruppe, daß die sowjetische Luftwaffe bei Nacht Sprit aus ihren fliegenden Maschinen ablasse.

Vor dem Abzug hauen die Sowjets noch einmal kräftig auf die Pauke. Die Einsätze der tieffliegenden MiGs haben derart zugenommen, daß die Bürgermeisterin von Märzdorf etwa die verbitterte Bevölkerung zu einer Demonstration am Pfingstmontag aufgerufen hat. Seit Jahrzehnten leidet sie unter dem Lärm der Jäger. Die Märzdorfer meinen es ernst: Wenn gar nichts mehr hilft, wollen sie die Starts der Flieger vom Flughafen bei Petkus mit heliumgefüllten Gasluftballons unterbinden. Vor diesem Hintergrund klingen die Worte des Oberkommandierenden der Westgruppe, Matwej Burlakow, vielen wie Ironie: „Wir bitten die ostdeutsche Bevölkerung um Geduld und Ausdauer, damit wir in würdiger Weise abziehen können.“