Die Todesstrafe wird immer humaner

Beim Aufbau dessen, was wir heute Zivilisation nennen, schoß die Menschheit manchmal übers Ziel hinaus. So ist die Vollstreckung der Todesstrafe heute in den fortschrittlichsten Ländern meist nicht öffentlich. In den USA haben sie sich jedoch jetzt daran erinnert, daß das Töten von Menschen früher immer eine ganz passable Volksbelustigung war. So streiten nun einige amerikanische Fernsehgesellschaften um das Recht, Hinrichtungen demnächst live, direkt aus der Gaskammer zu übertragen.

In Taiwan werden Gaskammer und elektrischer Stuhl selten benutzt. Sehr beliebt ist aber das Erschießen von Straftätern. Allein im letzten Jahr starben 80 Menschen im staatlich abgesegneten Kugelhagel. Der taiwanesische Justizminister Lu You Wen ist mit dieser Methode allerdings nicht mehr ganz glücklich. Er hat vorgeschlagen, „aus humanitären Gründen“ tödliche Spritzen und Hängen hinzuzunehmen. Dafür könnte man dann den heißen Stuhl und die Gaskammer ganz aus dem Strafvollzug herausnehmen. Was auf den ersten Blick wie eine erstaunliche menschliche Regung des Ministers aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als pure Geschäftemacherei. In Taiwan werden Hingerichtete nämlich im wahrsten Sinne des Wortes ausgeschlachtet. Die steigende Zahl von Organentnahmen für Transplantationen wirft einen ganz schönen Profit ab. So ist denn auch Lu You Wens Vorschlag das Ergebnis einer Runde von Fachleuten, Medizinern und Juristen — amnesty international hatten sie wohl vergessen einzuladen.

Künftig sollen die Todeskandidaten auch vor Ort für tot erklärt werden und nicht erst im Krankenhaus. Erstens geht das viel schneller und zweitens können peinliche Ausrutscher vermieden werden. So gab es bei der Hinrichtung eines 25jährigen im letzten Jahr anscheinend ein kleines Kommunikationsproblem. Da dem völlig gesunden jungen Mann nach seiner Strafe die Organe entnommen werden sollten, zielte das Erschießungskommando weisungsgemäß auf den Kopf. Als die Chirurgen den armen Teufel wenig später im Hospital aufschneiden wollten, stellten sie noch Lebenszeichen fest. Also transportierte man ihn zurück ins Gefängnis, wo er zum zweiten Mal erschossen wurde. Danach waren die Organe allerdings völlig unbrauchbar. So etwas kann demnächst nicht mehr passieren. Auch die zum Tode Verurteilten wird es sicher freuen, daß ihnen die Kugeln erspart bleiben und sie nur am Hals aufgehängt werden. Karl Wegmann