Ich war Kermit

■ Der Muppet-Enthüllungsfilm »Meet the feebles«

Jahrelang wurde einem gutgläubigen Publikum das fröhlich-unschuldige Bild einer sympathischen Theatergruppe eingetrichtert. Wenn am Samstagnachmittag Hunderttausende die Muppet-Show einschalteten und Kermit & Co. ihre Späße machten, ahnte niemand die traurige, ja entsetzliche Wahrheit. Die Fernsehgewaltigen spekulierten mit dem infantilen Verlangen eines Millionenpublikums nach Knopfaugen und Knuddelobjekten. Ilona (31): »Süüüß«. Verhaltensforscher Konrad L.: »Kindchenschema«. 'Bild‘- Zeitung: »Monster sind auch nur Menschen«. Das ist Vergangenheit. Jetzt muß die Geschichte der Muppet- Show neu geschrieben werden.

Durch Zufall stieß der in Neuseeland lebende Regisseur Peter Jackson (Bad Taste) auf die geheimen Tagebücher von Miß Piggy und entschloß sich spontan, einen aufrüttelnden, semidokumentarischen Spielfilm über die empörenden Machenschaften zu drehen, von denen die gebeutelte Sau berichtet. Die Zustimmung zur Verarbeitung ihres Tagebuchmaterials machte Miß Piggy vom Beschaffen einer neuen Identität abhängig. Heute lebt sie unter anderem Namen in Südamerika.

Um sich gegen Unterlassungsklagen abzusichern, mußte Regisseur Jackson den brisanten Stoff auf eine fiktionale Ebene bringen. So wurde der Muppet-Show-Frosch-Conferencier Kermit zu Harry, dem Karnickel. Wenn Harry mal nicht kokst, dann rammelt er ohne Kondom holterdipolter durch die Theaterbetten und fängt sich ansteckende Krankheiten ein. Nur über diesen ästhetischen Umweg konnte Piggys Botschaft den Weg zum Publikum finden: »Kermit ist ein bumsfideler Fickfrosch.« Aber das ist nur die eine Kermit-Seite. Die andere verkörpert Wynard, der Frosch. Wynard führt sich durch alle Körperöffnungen Drogen zu: Shit, Crack, Koks, Speed, LSD, Pattex. Sein Problem: er ist Messerwerfer. Wenn er mal auf Turkey ist, kann es schon passieren, daß die Assistentin die Bühne nicht lebend verläßt. Jacksons Film dokumentiert diese grauenvollen Vorfälle in drastischen Details. Wynards Drogensucht ist ein Mitbringsel aus Vietnam. In einer bewegenden Rückblende erzählt er uns von dem grünen Alptraum in Fernost. Die durch die Hölle gehen in vier Minuten.

Im Mittelpunkt der Enthüllungs- Story steht natürlich Miß Piggy, hier als Heidi, das Nilpferd (400 Pfund). Ihr Leben ist eine einzige Tragödie. Früher war sie der große Star und glaubte an die noch größere Liebe von Bletch, dem Walroß, ihrem Manager. Doch Bletch treibt es längst mit der Katze Samantha, er dealt mit Rauschgift und produziert Pornofilme (Jackson schreckt nicht davor zurück, Ausschnitte daraus zu zeigen). Für Heidi, seinem alten Nilpferd, hat Bletch nur noch Verachtung übrig. Bletch, Heidis Liebe für immer, ist zweifellos die dritte Verkörperung Kermits — der kalte Frosch, der Piggys Liebe nie erwidert. Heidi — betrogen, getreten und verspottet — dreht durch und nimmt mit einem Maschinengewehr blutige Rache. Beim bleiernen Showdwon kann Peter Jackson nicht verleugnen , daß Sam Peckinpah, der Meister des Kugelhagels, sein großes Vorbild ist. Von dem Muppet-Massaker erfuhr die Weltöffentlichkeit nie etwas. Die TV-Bosse wiederholten einfach die alten Shows bzw. ließen sie neu zusammenschneiden. Niemand merkte etwas.

Meet the feebles zeigt in schonungsloser Offenheit einen Abgrund an Abschaum und Abscheu — ein perverser Ameisenbär schnüffelt in Damenunterwäsche, eine entmenschte Bulldogge schikaniert die Theaterbelegschaft und eine dreckige Ratte führt ein unerbittliches Terrorkommando. Meet the feebles eröffnet die Auseinandersetzung um ein dunkles Kapitel amerikanischer Fernsehgeschichte. Nach diesem Aufschrei auf der Leinwand muß getan werden, was die »Grünen in den Medien« schon lange fordern: die Offenlegung der Muppet-Akten. Die Vergangenheitsbewältigung muß so schnell wie möglich vollzogen werden. Meet the feebles ist ein erster Schritt dazu. Gonzo Gunske

Meet the feebles , Neuseeland 1989, 96 Minuten. Regie: Peter Jackson. Deutsche Fassung im Moviemento und Xenon, Originalfassung im Eiszeit.