INTERVIEW
: Verpflichtung zur Loyalität

■ Polens Außenminister Krzysztof Skubiszewski zur deutschen Minderheit, den Vertriebenenverbänden, der neuen Fluchtbewegung aus dem Osten

taz: Welche Rolle, Herr Minister, sehen Sie für die deutschen Landsmannschaften und den Bund der Vertriebenen im polnisch-deutschen Dialog?

Skubiszewski: Die Landsmannschaften und der Bund der Vertriebenen sollten sich bemühen, eine positive Rolle im polnisch-deutschen Dialog zu spielen. Ich denke, daß das bei einigen Landsmannschaften, zumindest einigen Mitgliedern dieser Verbände, schon jetzt der Fall ist. Allerdings sollte der Bund der Vertriebenen seine Einstellung Polen gegenüber ändern. Indem man die jetzt bestehende polnisch-deutsche Grenze auf die eine oder andere Weise in Frage stellt, Illusionen schafft oder verschiedene seltsame Aktionen durchführt, die dann die Lage in Schlesien verschärfen, erreicht man bestimmt nichts Gutes.

Beabsichtigt die polnische Regierung, den Aktivitäten der Landsmannschaften und des Bundes der Vertriebenen in Schlesien unter der deutschen Minderheit entgegenzutreten?

Jene Deutschen, die in der Vergangenheit gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, können zur polnisch-deutschen Verständigung beitragen. Das hat es in vielen Fällen auch schon gegeben. Heute wenden wir uns schon überwiegend an die Nachkommen der Vertriebenen. Sie sind nicht mehr in der Heimat ihrer Eltern geboren, ähnlich jenen Polen, deren Eltern die vormalig polnischen Ostgebiete verlassen mußten und gleich nach dem Krieg zu den ersten polnischen Siedlern in den ehemals deutschen Gebieten wurden.

Polen ist heute ein demokratischer Rechtsstaat. Wir halten uns strikt an Recht und Gesetz, aber wir verlangen auch von anderen, daß sie polnisches Recht respektieren.

Warum weigert sich Polen, die doppelte Staatsbürgerschaft anzuerkennen? Wird die doppelte Staatsbürgerschaft nicht schon de facto dadurch anerkannt, daß ohnehin schon cirka 500.000 Einwohner Schlesiens sowohl einen deutschen als auch einen polnischen Paß haben? Was wäre denn der Unterschied zwischen einer Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft einerseits und dem jetzigen Zustand in Schlesien?

Ein ganz grundsätzlicher. Die doppelte Staatsbürgerschaft, ihre Zulassung, Tolerierung oder Akzeptanz und der Schutz der Minderheit — das sind zwei völlig verschiedene Angelegenheiten. Nach der allgemeinen internationalen Praxis ist ein Mitglied einer nationalen Minderheit in einem bestimmten Land derjenige, der die Staatsbürgerschaft dieses Landes besitzt, sich aber von den restlichen Bürgern des Landes durch Abstammung, Sprache, Kultur und Tradition unterscheidet. Ähnlich ist auch in Polen Mitglied der deutschen Minderheit derjenige, der die polnische Staatsbürgerschaft hat, sich aber zu deutscher Abstammung, Sprache, Kultur oder Tradition bekennt. Ob er dazu auch noch die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates hat, spielt keine Rolle. Wenn jemand in Polen als Mitglied einer nationalen Minderheit anerkannt werden will, muß er die polnische Staatsbürgerschaft haben — den bei uns seltenen Fall von Staatenlosen lasse ich mal beiseite.

Der polnische Staat anerkennt eine deutsche Staatsangehörigkeit von Schlesiern weder de jure noch de facto. Die Mitglieder einer nationalen Minderheit — auch das entspricht den Standards der entsprechenden internationalen Minderheitenvereinbarungen — haben die Pflicht, jenem Staat gegenüber, in dem sie wohnen und dessen Bürger sie sind, loyal zu sein.

Was hält die Regierung denn von der Forderung der deutschen Minderheit nach „der Verwirklichung des Rechts auf Heimat auch für die Vertriebenen“ und „der Fortdauer der Schutz- und Fürsorgepflicht für die Minderheit durch Deutschland“, wie es in dem 16-Punkte- Forderungskatalog der Minderheit heißt?

Ich verstehe nicht, was in diesem Fall diese Rechte bedeuten sollen. Kein fremder Staat hat das Recht zum Schutze der deutschen Minderheit in Polen. Es sei denn, Sie spielen da auf die übelsten Beispiele vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Krieges an. Jene Deutschen, die gezwungen wurden, Polen nach dem Zweiten Weltkrieg zu verlassen, können ihre kulturelle Idendität weiter hegen, können Kontakte mit ihren Familien pflegen, können sich an der Erhaltung ihres kulturellen Erbes beteiligen — auch auf dem Territorium Polens. Solche Absichten muß man verstehen und respektieren. Polen tut das ja auch. Ähnlich ist das ja auch mit jenen Polen, die ihre Heimat im Osten verlassen mußten.

Vor einiger Zeit berichtete die Presse über die Befürchtungen des Innenministeriums vor einer riesigen Flüchtlingswelle aus der Sowjetunion nach Polen. Kann der Zerfall der Sowjetunion Polen bedrohen?

Die UdSSR ist nicht zerfallen. Polen beobachtet die Veränderungen jenseits unserer östlichen Grenzen aufmerksam. Wir sind daran interessiert, daß sie einen friedlichen Verlauf nehmen. Ich glaube nicht, daß man zur Zeit von einer realen Bedrohung sprechen kann.

Die Probleme beim Transit des Hilfskonvois der Bundeswehr für die russische orthodoxe Kirche in der Sowjetunion vor einigen Monaten hat einiges böses Blut verursacht. Gibt es irgendwelche deutsch-polnisch-sowjetischen Mechanismen, die ähnlichen Zwischenfällen vorbeugen können?

Polen hat keinerlei Zwischenfälle verursacht. Urheber waren die, die versucht haben, der Republik Polen die Einreise des Transports zu befehlen, eines Transports, in dem kein einziges Fahrzeug versichert war und kein einziges ein Nummernschild hatte. Lassen die europäischen Länder solche Wagen auf ihr Territorium? Ein dreiseitiger Transitmechanismus ist unnötig, es reicht, wenn der Transporteur keine Gesetzesverstöße begeht und sich an geltende internationale Standards hält. Abgesehen von diesem Transitzwischenfall läuft der humanitäre Transit in die Sowjetunion durch Polen sehr glatt ab. Am Rande bemerkt hat Polen bei dem Transport der erwähnten Bundeswehr- und Rote-Armee- LKWs draufbezahlt. Interview: Klaus Bachmann