Zakho — eine Stadt normalisiert sich

Die irakische Geisterstadt an der türkischen Grenze fürchtet die irakische Polizei nicht mehr/ Die ersten kurdischen Flüchtlinge kommen zurück/ Koexistenz zwischen Peschmerga und Alliierten/ Nachts Gefechte mit irakischen Soldaten  ■ Aus Zakho Antje Bauer

Vor den Teestuben von Zakho sitzen auf hellblauen Blechbänken Männer und tratschen. Stoffläden stellen ihre glitzernde Ware aus, immer mehr Kramläden warten auf Kunden, Gaffer werfen ausländischen Journalistinnen Bemerkungen hinterher. Seit ein paar Tagen traut sich die Bevölkerung von Zakho wieder auf die Straße, nimmt die Stadt in langen Spaziergängen in Augenschein, macht einen Rundgang durch das Regierungsgebäude, in dem lange Blutschleifspuren von einem Handgranatenangriff der Peschmerga zeugen. Noch immer ist die Mehrzahl der Läden geschlossen. Doch seit ein paar Tagen läuft wieder Wasser aus den Hähnen, und die Stadtreinigung bemüht sich, tote Tiere, Geschosse und die Überbleibsel der Plünderungen durch die irakischen Soldaten von den Straßen zu entfernen. In ein paar Tagen soll es, zum erstenmal seit Beginn der Kuwaitkrise, wieder Strom geben. Zakho, eine Geisterstadt auf dem Weg zur Normalisierung.

Vor knapp einer Woche sind die irakischen Polizisten, die die Bevölkerung in Schach gehalten hatte, abgezogen worden. Fünfzig blieben hier — ein Zugeständnis an Saddam Hussein —, sie patroullieren, mit einem weithin sichtbaren Ausweis an der Brust und einer weißen Armbinde gekennzeichnet, unbewaffnet durch die Stadt. Tatsächlich verschwinden sie unter der Unzahl britischer Marines, die die zahlreichen Brücken sichern und zu Fuß in der Stadt für Ruhe sorgen. Ununterbrochen patroullieren schwerbewaffnete Konvois der Alliierten durch die Umgebung der Stadt. Von den nahegelegenen Bergen hallen ab und zu Schüsse. Die ausländischen Soldaten bekommen von der Bevölkerung Rosen geschenkt, Kinder winken den vorbeibrausenden Panzerwagen zu, Kurdinnen mit schwarz verschleiertem Gesicht begrüßen die Besatzer mit einem freundlichen „Hello“. Abends fahren in Kleinbussen unrasierte, müde Perschmerga in die Stadt, um nach langer Zeit wieder zu Hause zu schlafen. Vor wenigen Tagen war eine Peschmerga-Abordnung bis an die Zähne bewaffnet ins Zentrum von Zakho gekommen — um nachzusehen, wie sicher die Stadt für die Flüchtlinge ist. Doch inzwischen lassen sie auf Wunsch der Alliierten ihre Waffen in den Bergen zurück.

Die Koexistenz zwischen Peschmerga und alliierten Truppen muß ständig neu verhandelt werden. Auf dem Weg von Zakho in die Berge wechseln sich die Checkpoints der Peschmerga und der Alliierten ab. Kofferräume werden nach Waffen abgesucht, die Rebellen suchen nach Kollaborateuren Saddam Husseins. Je höher sich die Straße in die Berge windet, desto mehr Autowracks liegen am Wegrand. Zerschossene Windschutzscheiben und im Schlamm liegende Kopfkissen und Bettdecken sind stumme Zeugen der Flucht der Kurden. Was an den Autos auszuschlachten war, haben türkische und irakische Soldaten mitgenommen. Doch auch in diese Wüstenei kehrt inzwischen wieder Leben ein. In den grünen Wiesen haben die ersten Rückkehrer vor Tagen bereits ihr Zelte aufgeschlagen: „Wir warten auf die Erlaubnis der Alliierten, zurückzukehren“, erklärt eine Gruppe von Flüchtlingen. De facto sind es jedoch die Peschmerga, die die Flüchtlinge bislang zurückhalten. „Sie stoppen die Flüchtlinge hier, um sie für ihre Sache zu agitieren“, versichert ein französischer Arzt, der hier in den Bergen am Aufbau einer Sanitätsstation mitarbeitet.

Per Helikopter sind vor Tagen die ersten 250 Flüchtlinge in das von den US-Truppen aufgebaute Zeltlager bei Zakho gebracht worden. Seither bauen sie dort Toiletten, gleichzeitig sollen sie die anderen Flüchtlinge davon überzeugen, daß ihr Leben hier nicht gefährdet ist. Doch die Kurden in den Lagern an der türkischen Grenze haben Angst. „Wir werden erst zurückkehren, wenn kein einziger irakischer Soldat mehr dort ist“, versichert Hassan. Vor vier Wochen ist er mit seinem 4.000köpfigen Stamm aus Dahok geflüchtet und lebt seither auf dem Berg im Lager Isikveren. Der Schlamm der ersten Wochen ist dort inzwischen dem Staub gewichen. Zwischen den Zelten aus Plastikplanen und Decken liegen verwesende Schafe und getrocknete Scheiße. Die Plastikflaschen, in denen das Trinkwasser geliefert wird, bedecken den Berg und machen ihn zur Müllhalde. Die Lebensmittelversorgung ist besser geworden, und auch Trinkwasser ist inzwischen ausreichend vorhanden. Zum Waschen reicht es jedoch nicht. Aus den bunten Festtagskleidern, die die Kurdinnen auf die Flucht mitgenommen haben, ragen dreckige Gesichter. Fast alle, Erwachsene und Kinder, leiden an Durchfall. Die ausgemergelten schlaffen Körper der Säuglinge fallen noch immer häufig der Auszehrung zum Opfer. „Wie sieht es in Zakho aus“, werden die Besucher ängstlich gefragt, „meinst du, daß wir bald zurück können?“

Schükriye Said ist schon vor zwei Wochen mit ihrer Familie von den Bergen nach Zakho zurückgekehrt — sie konnte das Lagerleben nicht mehr ertragen. Ihre Haustür war aufgebrochen, irakische Soldaten hatten das Fernseh- und das Videogerät mitgenommen und die Wohnung geplündert. „Lebensmittel sind wahnsinnig teuer“, klagt sie, „und Arbeit gibt es auch keine in Zakho.“ Als Saddams Bomben in die Häuser der Nachbarschaft fielen, war sie in die Berge geflüchtet. Doch jetzt sitzt sie abends beim aus einer Autobatterie gespeisten Licht zu Hause und hofft, daß Saddam Hussein bald stürzt und die Allierten Zakho nicht verlassen.

Nachts gewinnt Zakho das Gesicht einer Geisterstadt zurück. Kein Mensch auf den stockdunklen Straßen. Irgendwo liegen Marines aus Ulster auf der Lauer. Alliierte Hubschrauber werfen über den nahegelegenen Bergen Leuchtmunition ab. Für Minuten sind die Hügel in gleißendes Licht getaucht. Aus ihren Zentren am Eingang der Stadt setzen sich unbeleuchtete Panzerwagen in Richtung Berge in Bewegung, Marines bereiten sich am Straßenrand auf einen Einsatz vor. „Wir haben die irakischen Soldaten aus den Bergen vertrieben“, kommentiert am nächsten Morgen ein britischer Offizier. Daß es mit dem Widerstand der irakischen Truppen bald vorbei sein wird, glaubt er nicht. Die Alliierten dehnen unterdessen die Sicherheitszone bis nach Amadya aus. Die Frontlinie verschiebt sich. Die Angst bleibt.