Bonn und die Stimme der Frauen

Aktionen gegen den Paragraphen 218/ Frauenzeitschriften von 'Bild der Frau‘ bis 'Emma‘ fordern in einem offenen Brief eine Fristenregelung ohne Zwangsberatung/ Autonome Frauenbewegung plant Tribunal und ost-westlichen Frauenratschlag  ■ Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) — Wie finden so unterschiedliche Zeitschriften wie Springers 'Bild der Frau‘, die zeitgeistig- schnittige 'Cosmopolitan‘ und Alice Schwarzers 'Emma‘ zu einer politischen Aktion zusammen? Die Debatte um das Abtreibungsrecht machte es möglich: über ideologische Grenzen und Konkurrenzkämpfe hinweg setzten zwölf große Frauenzeitschriften — nach eigenen Angaben erreichen sie zusammen knapp zwanzig Millionen LeserInnen — ein erstaunliches Zeichen der Zusammenarbeit. In einem offenen Brief forderten sie Ende März die Bonner Abgeordneten auf, sich für eine Fristenregelung ohne Zwangsberatung einzusetzen. Was hat sich seitdem getan?

Sehr viele Abgeordnete meldeten sich in Briefen an die Redaktionen zu Wort, aber einen spürbaren Ruck hat es in Bonn nicht gegeben. Die meiste Zustimmung gab es wie zu erwarten aus den Reihen der SPD, u.a. von Wolfgang Roth, Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier oder der Vorsitzenden des Arbeitskreises Gleichstellung, Ingrid Becker-Inglau.

Noch favorisiert die SPD in ihren eigenen Entwürfen eine Fristenregelung ohne Beratungszwang — doch ist es in Bonn längst offenes Geheimnis, daß die Reihen hier nicht allzu fest sind und die Neigung groß ist, sich auf den FDP-Entwurf (modifizierte Fristenregelung mit Zwangsberatung) einzulassen. Auch in der FPD gab es positive Stimmen, zurückhaltend reagierten vor allem die Abgeordneten der CDU/CSU. Aber unabhängig von der jeweiligen politischen Couleur, so Christa Geissler von 'Cosmopolitan‘, hätten weibliche Abgeordnete die Aktion begrüßt. Denn diese hätte den Männer nochmals die Augen für die Brisanz des Themas geöffnet. So gingen beim 'Journal für die Frau‘ die Zahl der Briefe gar in die Hunderte. Übereinstimmend machten die Redaktionen dabei die Erfahrung, daß die Contra- Briefe oft in einem „sehr harschen Ton“ formuliert waren und persönliche Beschimpfungen enthielten. In nächster Zeit wollen die Zeitungschefinnen nun Bilanz ziehen. Hildegard Bode von 'Brigitte‘: „Wir warten jetzt noch mal ab, was sich in Bonn tut.“

Mit einem „Tribunal“ und einem „Frauenratschlag“ will sich die autonome Frauenbewegung in die aktuelle politische Auseinandersetzung einschalten. Am 8. und 9. Juni soll in der Ostberliner Humboldt-Universität unter dem Motto „Kein 218 in Ost und West“ ein Kongreßtribunal mit anschließenden Arbeitsgruppen und Podiumsdiskussion über die Bühne gehen. Anstifterinnen sind der Unabhängige Frauenverband, die bundesweite Koordination gegen den Paragraphen 218 und die Gruppe „Frauen begehren Selbstbestimmung“ — dieselbe Konstellation, die bereits im Juni und September vergangenen Jahres für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen Zehntausende von Frauen auf die Straße holte. Das Tribunal, das mit szenischen und musikalischen Elementen arbeiten will, soll die Erfahrungen der Frauen mit der unterschiedlichen Abtreibungspraxis in Ost und West mit Tempo und Verve darstellen. Es soll provozieren, zum Widerspruch reizen — so wünschen es sich jedenfalls die Initiatorinnen.

Auffällig an dem Aufruf ist, daß das bisherige Credo nach ersatzloser Streichung des Paragraphen 218 zwar als „Forderung aus der Frauenbewegung“ auftaucht, jedoch offengelassen wird, ob nicht auch eine Fristenregelung die Zustimmung finden könnte. Gegenüber dem Paragraphen 218, der Frauen mit Strafandrohung einschüchtere und kriminalisiere, sei die Fristenregelung der Ex- DDR „ein Fortschritt“. Die Atmosphäre, in der Schwangerschaftsabbrüche in der DDR erfolgten, wird jedoch als „widersprüchlich“ beschrieben. In der Öffentlichkeit bildeten Abbtreibungen ein Tabu, Frauen mußten den Eindruck haben, der Abbruch sei zwar gestattet, aber zugleich „moralisch belastet“.

„Es ist diese Situation, die Frauen die Einrichtung von Beratungsstellen so dringlich erscheinen läßt.“ Eindeutig abgelehnt wird jeglicher Zwang zur Beratung.

Der Frauenratschlag in kleinen Arbeitsgruppen zu Themen wie „Brauchen Frauen Fristen“, „Lebensschutz in das Grundgesetz?“ oder „Das perfekte Kind-die eugenische Indikation“ soll vor allem der Verständigung zwischen Frauen aus Ost und West dienen. Denn die gegenseitigen Vorurteile, so Regina Linzbach von der Berliner 218- Koordination, halten sich hartnäckig. Beispiel: Im Westen herrscht immer noch die Vorstellung, im Osten würden Abtreibungen per Ausschabung vorgenommen, während dort fast überall und schon lange mit der schonenden Absaugmethode gearbeitet wird.

Bleibt noch die Podiumsdiskussion, die wohl nach dem Proporz- prinzip besetzt wurde — aus jeder Bündnisecke eine. Die eingeladene Alice Schwarzer mußte absagen. Mit Eva Kunz von der SPD und Christina Schenk vom UFV sind Vertreterinnen der Fristenregelung wie der ersatzlosen Streichung mit von der Partie, für rechtspolitischen Sachverstand sorgt die Strafrechtlerin Monika Frommel. Die Initiatorinnen rechnen mit 800 bis 1.000 Frauen (und Männern, die allerdings nur am Tribunal teilnehmen dürfen). Spenden sind hochwillkommen.

Kongreßbüro „218-Kongreß“, Haus der Demokratie, Raum 302, Friedrichstr. 165, 0-1080 Berlin, Tel.: 2291657 (Ost), (030) 2113719 (West), Bürozeiten Mo., Mi., Fr. von 10-14 Uhr. Spenden: Regina Linzbach, 218-Kongreß, Kto.-Nr. 240011317, Sparkasse der Stadt Berlin, BLZ 10050000.