Kein schwarzes Gold vom weißen Kontinent

■ Wo ein Wille ist, dort kann sogar ewiges Eis schließlich brechen: Wenn es nach dem Willen der Antarktis-Vertragsstaaten geht, wird der sechste Kontinent nicht für die Ausbeutung von Edelmetallen...

Kein schwarzes Gold vom weißen Kontinent Wo ein Wille ist, dort kann sogar ewiges Eis schließlich brechen: Wenn es nach dem Willen der Antarktis-Vertragsstaaten geht, wird der sechste Kontinent nicht für die Ausbeutung von Edelmetallen, Kohle und Erdöl freigegeben.

VON ANDREA SEIBEL

Auf der kleinen Greenpeace- Forschungsstation „Gondwana“ im antarktischen Eis mögen die Sektkorken geknallt haben. Zum zweiten Mal schon sitzt dort die deutsche Geologin Sabine Schmidt mit drei weiteren internationalen Wissenschaftlern in der eisigen Einsamkeit — am 21. März verabschiedete sich die Sonne für ein halbes Jahr, und die Temperaturen fielen auf bis zu Minus 80 Grad Celsius. Vielleicht wurde aber auch nicht gefeiert, und vielmehr ärgern sich die UmweltaktivistInnen, daß auf der 12. Sonderkonferenz der Antarktis- Vertragsstaaten am Dienstag in Madrid nur ein 50jähriges Moratorium jeglichen Rohstoffabbaus beschlossen und nicht gleich der Weltpark Antarktis deklariert wurde. Ihre Kollegin in Hamburg, Dr. Johanna Wesnigk, jedenfalls ist Wissenschaftlerin genug, sich optimistisch über den „Durchbruch“ zu zeigen. „Wenn es tatsächlich erst nach 50 Jahren möglich ist, das Werk zu revidieren und wenn das Prozedere so kompliziert ist, wie es scheint, dann sind wir mit dem Ergebnis recht zufrieden“, sagt die Geologin.

Die Vereinbarung von Madrid, die noch von allen 26 heutigen Konsultativ-Staaten (d.h. aus den insgesamt 39 Mitgliedsstaaten jene mit Stimmrecht) unterzeichnet und dann in ihren jeweiligen Ländern ratifiziert werden muß, kann tatsächlich irgendwann im 21. Jahrhundert mit einem Dreiviertel der dann vorhandenen Vertragsstaaten-Stimmen gekippt werden. Und unter ihnen müssen die 26 Konsultativ-Staaten von heute sein.

Nach dem jetzigen Stand wird sich diese Dreiviertel-Mehrheit nicht ergeben, insofern könnte die Madrider Vereinbarung ein permanentes Verbot der wirtschaftlichen Exploitation des sechsten Kontinents bedeuten. Zusätzlich zum Verbot der Rohstoffausbeutung sieht der neue Vorschlag die Einrichtung eines Umweltschutzkomitees und strengere Regelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen, Meeresverschmutzung, Müllbeseitigung und besondere Schutzgebiete vor.

Forderung nach einem „Weltpark Antarktis“

Seit 1988 die Wellington-Konvention paraphiert wurde, knallten im großen Haus der Antarktis-Vertragsstaaten nicht die Korken, sondern ständig die Türen. Das Abkommen — auch CRAMRA genannt —, das den eventuellen Rohstoffabbau in „umweltverträglicher Form“ (bei Unfällen einigte man sich auf die absurde Formulierung, die „Natur in ihrem ursprünglichen Zustand wiederherzustellen“) regeln sollte, hätte einstimmig von den zwölf damaligen Erstunterzeichnern des Antarktis- Vertrags aus dem Jahr 1961 paraphiert werden müssen. Erst Australien und Neuseeland, dann überraschenderweise Frankreich scherten 1989 aus und forderten ein totales Abbauverbot — für immer und ewig. Seither ringt man um einen Kompromiß. Denn daß die Hardliner wie etwa die USA, Großbritannien, Argentinien, Chile, die UdSSR, Japan oder Norwegen sich nicht auf einen „Weltpark“ festlegen würden, war allen klar. Einige dieser Länder erheben territoriale Ansprüche auf den Kontinent, der laut Antarktis-Vertrag jedoch niemandem allein gehört.

Als der Antarktis-Vertrag 1961 in Kraft trat, herrschte Kalter Krieg; schon aus diesem Grund ist er — was die Förderung wissenschaftlichen Internationalismus' anbelangt — beispielhaft. Damals legte man Wert auf eine militär- und atomwaffenfreie Region und ungehinderte wissenschaftliche Forschung. Von Bodenschätzen oder Umweltschutz war nicht die Rede, weswegen seither viele Streitfragen (etwa die Ausbeutung der umliegenden Meere) in Zusatzabkommen geregelt werden müssen.

1983 begann die ASOC (Antarctic and Southern Ocean Coalition) — der neben Greenpeace und dem World Wildlife Fund (WWF) auch mehr als 200 andere Umweltschutzorganisationen in 43 Ländern angehören —, das Gemauschel im ewigen Eis des 12-Millionen-Quadratkilometer- Kontinents aufzudecken. Nicht nur immense Umweltzerstörungen durch die Forschungsaktivitäten selbst (die Müllentsorgung der 50 Stationen etwa) sind seither untersucht und gegeißelt worden.

Auch die Gefahr eines zunehmenden und unkontrollierten Abenteuertourismus auf dem menschenleeren Kontinent wurde thematisiert. Schließlich braucht das hochempfindliche arktische Ökosystem cirka ein Jahrzehnt, um einen Fußabdruck zu absorbieren. Wie soll man da ohne Schaden für die Umwelt Hotels für luxusgewohnte Touristen betreiben?

Mehr als nur die Heimat der Pinguine

Weitaus alarmierender war jedoch, daß die Antarktis-Vertragsstaaten jährlich Milliarden an Forschungsgeldern investieren, um letztlich vielleicht doch nur den Abbau der unter einer bis zu 4.000 Meter dicken Eisschicht bisher nur vermuteten gigantischen Bodenschätze wie Öl, Kohle und Erzen zu sondieren. Wie, so die Frage von Umweltschützern, will man in diesem delikaten Ökosystem, das wesentlicher Bestandteil der Biosphäre ist, Öltürme errichten, ohne daß dabei Zerstörungen ungeahnten Ausmaßes drohen?

Es bedurfte all jener weltweiten Umweltkatastrophen, brauchte jahrelange publikumswirksame Knochenarbeit von Greenpeace, bis deren Bemühungen peu à peu in ein gestiegenes Umweltbewußtsein resultierten. Heute weiß fast jedeR, daß das Ozonloch wie ein Damoklesschwert über der Antarktis schwebt und daß schon das Eis und selbst Pinguine mit DDT verseucht sind. Das größte Süßwasser-Reservoir der Welt ist eben mehr als nur Pinguinland. Welches Juwel die Antarktis darstellt, wurde endlich auch auf politischer Ebene erkannt: Die Antarktis wurde zum „Naturreservat des Friedens und der Forschung“ erklärt.

Nicht unwesentlich trugen hierzu auch Wissenschaftler bei. Ein Jacques Cousteau fehlt zwar in der Bundesrepublik, doch gab es unter der Ägide der beiden Geologen Dr. Gerd Wörner (Mainz) und Prof. Blümel (Stuttgart) schon 1989 eine Kampagne. 84 Prozent der deutschen Antarktiswissenschaftler sprachen sich in einer Unterschriftenaktion gegen jegliche Suche und Abbau von Rohstoffen in der Antarktis aus und appellierten an Bonn, für einen „Weltpark Antarktis“ einzutreten. Der Brief landete auf dem Tisch von Außenminister Genscher und veranlaßte ihn, schon auf der Konferenz in Chile Ende 1990 für einen Weltpark einzutreten. Kurz vor der jetzigen Tagung meinte Genscher, der dauerhafte Schutz der Antarktis entspreche „der neuen und größeren Verantwortung Deutschlands“.

Fragwürdige Kompromißbereitschaft

Auch unter Wissenschaftlern wurde besonders von einer — endlich — klaren Haltung Bonns „große Signalwirkung“ (Wörner) erwartet. In der Bundeshauptstadt wird übrigens im Herbst das nächste Treffen der Konsultativ-Staaten stattfinden. 30 Jahre nach Unterzeichnung des so einmaligen wie fragilen Antarktis-Vertragswerkes reicht nun eine einfache Mehrheit aus, um eine grundsätzliche Änderung vorzunehmen.

Die interdisziplinäre Diskussion unter den Wissenschaftlern ist spannend, weil absolut grundsätzlich: Es geht um eine klare politische Entscheidung für den „Frieden mit der Natur“ versus einem z.B. von Geologen des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung hervorgehobenen Primats der Forschung. „Wir sind doch in die Rolle der Dreckmacher geraten“, beschwert sich Prof. Dieter Fütterer. Der Geologe kann sich mit dem Moratorium „anfreunden“ und wünscht seinen Nachkommen innigst, „daß sie nicht in den Zwang kommen, die antarktischen Rohstoffe nutzen zu müssen“.

Über die Lauterkeit der Motive der beiden bedeutenden Industrienationen Japan und Bundesrepublik Deutschland, nun für das Moratorium einzutreten und damit für eine kleine Sensation in Madrid zu sorgen, kann man dennoch streiten. Die Tatsache, daß eine Ausbeutung bis auf weiteres absolut unökonomisch ist, mag der Kompromißbereitschaft nachgeholfen haben. Greenpeace- Mitarbeiterin Johanna Wesnigk glaubt, daß die 250.000 Protestbriefe, die im Hause des Wirtschaftsministers Möllemann eintrudelten, auch einiges bewirkten. Prof. Fütterer lobt in diesem Zusammenhang die beispielhafte Konsensfähigkeit des Antarktis-Staatenverbundes. „Das funktioniert doch hier besser als bei der UNO. Hier reden doch Staaten miteinander, die sich in New York den Rücken zukehren.“ Prof. Blümel jedenfalls freut sich sehr über das Moratorium. Er glaubt, daß „in 50 Jahren das Umweltbewußtsein noch stärker entwickelt sein wird als schon heute“ und man dann erst recht die Finger von einer Exploration lassen wird.

„Ich bin gegen Kompromisse“, meint hingegen der Kieler Mikrobiologe Prof. Peter Hirsch kategorisch. „Wahrscheinlich wird man auch jetzt wieder ein Löchlein finden, durch das man sich hindurchmogeln kann. Wenn wir jetzt die Chance haben, den Weltpark-Weg zu gehen, dann müssen wir sie auch nutzen.“