»Cinderella — Aschenputtel«

■ Kinderfilm des Monats Mai

Man kann ihn getrost als den Vater des Zeichentrickfilms bezeichnen; die Figuren, die er nach seinem Bilde schuf, haben wohlbekannte Namen: Donald, Goofy, Mickey Mouse... Als ihr Schöpfer 1966 starb, verlor die Welt einen der vielseitigsten Filmemacher: Walt Disney. Er ist längst zum Inbegriff von verspielter und spannender Unterhaltung geworden. Das Imperium, welches er hinterließ, umspannt inzwischen den gesamten Erdball, riesige Vergnügungsparks für Groß und Klein, Spielzeuge und natürlich Tausende von Comics halten die Erinnerung an den großen Meister der Zeichentrickkunst lebendig.

Ein dankbares Publikum finden auch die vielen Filme, die seit den dreißiger Jahren zumeist in Amerika hergestellt werden. Die Disney-Productions besitzen die größten Filmstudios der Welt; Zeichner aus allen Erdteilen erfinden dort immer wieder neue Abenteuer und Schauplätze, an denen sich Mäuse, Katzen, Hunde, Monster oder Seejungfrauen tummeln. Doch nicht nur Trickflime wurden und werden in Hollywood produziert, sondern auch nachmittag- und abendfüllende Spielfilme. Wer kennt sie nicht, die amüsanten Streifen, in denen die Tiere die Hauptdarsteller sind und die Natur das Drehbuch schreibt. Mit aufwendiger Technik und oft nur durch jahrelange Beobachtung mit der Kamera wurde es erst möglich, Einblicke in eine Welt zu erhalten, in der der Mensch nur stummer Gast sein darf.

Neben den Tier- oder Mickey-Mouse-Filmen aber sind es auch die richtigen Märchen auf Zelluloid, die die Phantasie des Zuschauers immer wieder beflügeln. Riesen und Gnome, Zauberer und Feen, wundersame Wesen oder die bekannten Filmstars aus den Comics treffen aufeinander. Es wird gestritten und sich wieder versöhnt, gekämpft und gehext. Die Abenteuerreisen der zweidimensionalen »Schauspieler« sind genauso spannend wie die aus dem richtigen Leben. Aber es gibt doch es gibt einen gewaltigen Unterschied zur Wirklichkeit: In Sagen und Märchen ist alles möglich.

1949 schuf Walt Disney den Zeichentrickfilm »Cinderella«, in Deutschland besser bekannt unter dem Namen »Aschenputtel«. Frei nach den Gebrüdern Grimm wird hier die Geschichte vom fleißigen Mädchen erzählt, das den ganzen Tag im Hause der hartherzigen Stiefmutter und der überkandidelten, eitlen Schwestern schuften muß. Böse Worte sind der einzige Lohn für all die Plagerei. Aber Aschenputtel verzagt nie. Immer hat sie ein Lächeln auf den weichen Lippen. Sie bleibt stets fröhlich und aufgeschlossen, und sie hat natürlich Freunde, die ihr kräftig helfen. Es sind die Tiere im Haus, die dem aufgeschlossenen Kind zur Seite stehen. Besonders die piepsige Mäusebande tut alles, um Aschenputtel das Leben zu erleichtern. Mit cleveren Tricks wird dem tückischen Hauskater ein Streich nach dem anderen gespielt, und die flinken Biester greifen auch schon mal zu Besen und Schaufel.

Als der heiratslustige Prinz im Lande einen Ball gibt, um sich eine Frau zu suchen, kann Aschenputtel nur durch Zauberei einer Fee mit von der Partie sein. Unerkannt tanzt sie mit dem Prinzen durch den Palast, der von der strahlenden Schönheit dieses unbekannten Wesens wie verwandelt ist.

Wie das Märchen ausgeht, ist doch klar. Der verlorene gläserne Schuh führt seine königliche Hoheit an den zickigen Schwestern vorbei zu Aschenputtel. Beide werden ein Paar, und die Tiere im Haus tanzen ausgelassen über Stock und Stein.

Der Film, der über 40 Jahre alt ist, wurde mit großer Perfektion gezeichnet. Alle Figuren haben ihre typischen Charaktermerkmale: Aschenputtel sieht noch in Sack und Asche aus wie eine Königin, jede Maus hat ihren Namen und kann sprechen und handeln wie ein Mensch. Und wenn die Stiefmutter auftritt, dann spürt man förmlich, sie hat den Teufel im Leib. Die krasse Falte auf der Stirn ist wie ein Blitz, ihre Stimme wie Donnergrollen. Die Schwestern mit ihren Gnubbelnasen und schlacksigen Bewegungen verkörpern exakt das richtige Maß an Boshaftigkeit.

»Cinderella« ist so inszeniert, daß man als Zuschauer manchmal vergißt, daß alles nur Trick ist. Aschenputtel kann singen wie eine Göttin, begleitet von einem ganzen Symphonieorchester. Sie schwebt schon mal in vielen, wie Perlmutt schimmernden Seifenblasen durch den Raum und klagt ihr Leid in rührenden Strophen. Die Effekte sind perfekt, Hintergrund und Gegenstände wirken oft täuschend echt. Selbst die Sterne leuchten wie kleine Sonnen, und über den Schnee scheinen Millionen Diamanten gestreut zu sein.

Es ist ein Märchen, welches hier vorgeführt wird und ein Stück Hollywood: verspielt, verträumt, verbindlich. Das Unrecht wird immer besiegt. Das Gute triumphiert. Wenn der alte König am Schluß ganz aus dem Häuschen ist, weil er sich über die zu erwartenden Enkel freut, dann ist man zufrieden. Die Welt ist wieder heil.

Und wenn sie nicht gestorben sind... Benjamin B.