■ Sharkiat

Ägyptische Volksmusik ist genauso seltsam wie böhmische, französische oder irische Folklore. Erst wenn sie sich auf das dünne Eis der Pop-Unverbindlichkeit begibt, wachsen in ihr Gegensätze zu den Pogues, Les Negresses Vertes und Karel Gott. Dann wird sie statt von Phonogram oder Polydor durch einen Schweizer Musikverlag vertrieben und muß als Einheizer der ökolateralen Heimatklänge herhalten — vor Bauchtanzgruppen ohne Zuckerpuppen, die Bill Ramsey aus Wuppertal kannte.

Sharkiat aus Kairo sind zuerst einmal eine messerscharfe Profitruppe, die vom Kawai-Sampler bis zum Warlock-Baß so ziemlich alles ausschöpfen, was an erlesenem Studio-Equipment in den Händen von Jonas Hellborg oder Herbie Hancock ähnliche Verwendung finden würde. Dann bringt der Orient doch einige Unterschiede ans Licht. Das Cover der LP »Camel Dance« (schon eine Merkwürdigkeit, wer würde hierzulande auf die Idee kommen, Nutztiere tanzen zu lassen, so wie die Sau, die man am Wochenende selbst rausläßt, nur wer würde das auf seine Platte schreiben, vielleicht Torfrock?) ziert ein Mann mit Turban im Leinengewand, der an einem Bretterzaun entlangschreitet, über dem die Reklame einheimisch für Musik wirbt mit fröhlichem Paar und einer Art übergroßer Schalmei. Der Mann da unten hat seine im Koffer, vielleicht ist auf dem Weg in einen Übungsraum oder Musentempel.

Die Musik von Sharkiat will hingegen weit weg vom urbanen Treiben. In den Linernotes teilen sie mit, daß »modern minds« und »dead souls« auf der selben Seite stehen, im Stadtleben eingebettet. Sharkiat sehen sich mehr auf Pilgerfahrt zu den Wurzeln orientalischer Musik, feiern in dem Song »Mawaweel Masria« ein Fest in der Oase, auf der man den Wind, den Sand und den Mond zu spüren bekommt, und statt mit Nachdurst und Kater im Einklang mit der Seele steht.

Andere Botschaften sind weniger plaudernd mediterrané-clubbend gehalten: »Go back to your roots and work on your land and stop talking about history now«, schreibt Atef Shaheen über das Lied »Gayia Min Balad El Ahram«, was soviel wie »Aus dem Land der Pyramiden kommend« bedeuten soll. Die politische Artikulation, so sie angestrebt ist, bleibt dem Vokale und Konsonanten anders vermischenden Ohr verschlossen. Dafür sind musikalische Leitmotive leichter verständlich. Sharkiat mischen auf arabischer Rhythmik Melodiefolgen und Arrangements zwischen Jazz und Pop mit der eigenen volkstümlichen Instrumentation. Und so weit sie sich auch weltmusizierend über den eigenen Kulturkreis hinausbeugen, sie holen sich nirgends die Genickstarre eines David Byrne, der penibelst Kultur multimodernisiert wie einst der alte Fritz. (Um 22 Uhr im K.O.B.) Harald Fricke