Toy Flesh und Who's Rachel

■ Von Killertomaten, Lungenbläschen, Feierabend und Zauberlehrlingen

Süd-London, Freitag nachmittag 13.15 Uhr. Durch die herabgelassenen Jalousien dringt das werktägliche Gemisch aus staubig blendendem Tageslicht, Baustellenlärm und Kindergeschrei. Der Fernseher verwabert bläulich schimmernde Strahlen über bleiche Gesichter, die sich auf Teppich und Bett verteilen. Jeder ketchupgetränkte Angriff außerirdischer Killertomaten wird vom trockenden Zischen eines weiteren Bierdosenverschlusses begleitet. Owen Thomas ist Romantiker und liebt Kartoffelchips.

Nord-London, Freitag nachmittag 13.20 Uhr. Das Telefon schnarrt unablässig, Graham Towerzey mißhandelt sein Schlagzeug und ist taub für alles andere.

Ähnliche Szenerien werden aus Dublin und Bear City, where ever that may be, gemeldet.

Berlin, Freitag abend 23.30 Uhr. Der Wasserturm bebt, vier Gestalten verschwitzen eine Art Folkrockrockabillypunk, Lungenbläschen schreien nach Luft, Arme und Beine nach Bewegung, die Clubbediensteten nach Feierabend.

Toy Flesh hören sich ungefähr an wie die Schnittmenge aus den Pogues und den Stray Cats nach einer langen Nacht mit den Cramps: fröhlich prügelndes, dabei unnachahmlich dilletantisch holperndes Schlagzeug mit dramatischen Auf- und Abschlägen, wobei des Trommlers Stärke ganz bestimmt nicht im Tempohalten liegt, dafür aber in funkenstiebender Spielfreude. Daneben wummert ein Bass, so tief, so gnadenlos, in gerade noch für Delphine zugänglichen Frequenzen. Der Gitarrist wird wegen ausgiebigster Fußarbeit in die Annalen der elektrischen Musik eingehen, so wie er zwischen seinen Effektgeräten hin- und herzuspringen hat, um mal einen storchig-stakseligen Minimalismusmelodiebogen, ein anderes Mal irgendetwas psychedelisch-harmonisches in Richtung Synthieteppichmuster hinzukriegen. Als kapriolistische Dreingabe werden Vibratovariationen erbracht, wie es Lux Interior in völlig betrunkenem Zustand nicht bedrohlicher gelungen wäre.

Berlin, Freitag abend 24.00 Uhr. We want more! We want more!

Mehr gibt es heute von den emsigen Who's Rachel, die teilweise aus London, teilweise aus Berlin stammen und sich dadurch auszeichnen, daß sie ohne Unterlaß auftreten, zuletzt am 1.Mai auf einem Laster des Demozuges. Ihr Metier ist das Rätsel, begonnen beim Bandnamen, endend in der Musik. Eine schleierhafte Mischung, angesiedelt im Punk (oder vielleicht im Hardrock, oder doch eher im psychedelischen Folk?) präsentiert sich auf dem Demotape, das anscheindend einzig und allein zu dem Zwecke aufgenommen wurde, ein paar Fragezeichen mehr aufzuwerfen. Man muß wohl hingehen und sich vor Ort den Kopf darüber zerbrechen, was uns diese Zauberlehrlinge sagen wollen. Raffiniert. Erika

Um 21 im Wasserturm Kreuzberg