Der nicht mehr einwandfreie Bilderfluß

■ »Stupid Pleasures« von Jayce Salloum in der Shin-Shin-Galerie

»Wieviele Künstler werden das Bild von der Missile, die zielgenau in den Lüftungsschacht des Bagdader Verteidigungsministeriums fliegt, weltweit in den nächsten Jahren wohl verwenden? Zehn? Hundert? Man denke an all die Studenten. Tausend? Okay, und noch ein kleines e hinten dran. Bilderjäger aufgepaßt: in Ermangelung besserem werden zur Zeit wieder vermehrt Bilder aus dem Vietnamkrieg gedruckt.« (Christoph Blase in: A.N.Y.P., Nr. 3, S. 7)

Eine sehr alte Décollage-Arbeit von Wolf Vostell zeigt unter dem Titel »Miss America 1968« ein weltweit mit Erschütterung bedachtes Pressefoto von Edward T. Adams (associated press): »Street Corner Execution«, die Erschießung eines vietnamesischen Gefangenen, anonym und ohne Preisgabe der Täter. Eine hundertstel Sekunde andauernd wird darauf als Bild die Dokumentation des Krieges festgehalten, und geht dem Kontext zum Trotz in die künstlerische Autonomie ein. Die Intensität des Schocks bestärkt die Intention des Künstlers, der damit das Einverständnis des Betrachters mit der Anklage auf das Kunstwerk erweitert einholt. Kunst und Politik ereignen sich jedoch nicht gleichzeitig, sondern geschichtet, und das Bild ersetzt dort die Politik, wo diese verschwindet. Es harrt mitunter aus, bis die Politik zurückgekehrt ist.

Die Kritik von Blase an dem Prozeß, auf ein Bilderverbot Bilderfluten folgen zu lassen, ist weder philosophisch neu bedacht noch künstlerisch jenseits der Sorgfaltspflicht angesiedelt. Auch das Schweigen verursacht Bilder, weiße Flecke im errinernd Eingebildeten, Geschichte allenthalben. Es ließe sich andererseits so mit dem Bildmaterial umgehen, wie es Colonel Curtz mit dem Grauen »Apocalypse« versucht. Per Indentifikation, weil es sonst der Detektiv mit dem Täter bei der Spurenaufnahme vollzieht. Politische Kunst verfolgt die Spuren der Politik, in dem sie sich der politischen Handlungen annimmt und abbildet. Zu offensichtlich ist dabei der Schuß in den Kopf des Vietnamesen oder die Detonation im iranischen Militärlager in der Wiedergabe selbst nur dem Akt der Gewalt der präzise arbeitenden Apparatur unterworfen, als Blitzschlag der (Aufzeichnungs-)Technik. Eine andere Möglichkeit besitzt Kunst, wenn sie weit darüber hinausgehend mit Details und Hintergründen arbeitet, die sich vor allem zeitlich von der Macht des Augenblicks lösen.

»Stupid Pleasures«, Titel einer Ausstellung von Jayce Salloum, zeigt großformatige Polaroidaufnahmen, die — von einer Videoserie begleitet — die über Jahre gleich gebliebene Beschäftigung des in Ontario ansässigen Künstlers wiedergeben. Darin zeigt er die Geschichte von Bildern, wie sie einzig und allein die Medien ermöglicht haben. Bilder, die allesamt um ein zentrales Motiv kreisen: das des Krieges. Keine Bilder, die den Krieg möglich gemacht haben sollen, wie es ästhetisch konnotiert in der französischen Hegelnachfolge sich versteht als ein »umso schlimmer für die Tatsachen«.

Die Bilder Salloums schieben demgegenüber Schritt für Schritt die Rhetorik der Darstellung, mit der sich ein Begriffswissen verknüpft, zugunsten einer Verschiebung der Bedeutungen von sich fort. Eine Abbildung von Sprichwörtern, wie man sie in chinesischen Glückskuchen vorfindet, arbeitet dabei mit veränderten Aussagen, einmal als »A Change For The Better«, dann als »A Chance For The Better«. Bildkomponenten ergänzen, d.h. supplementieren sich in gleicher Weise. Dem Foto vom Anmarsch kriegerischer Indianer ist der Panoramablick in ein Kino hinein unterstellt.

Hat man sich solcherart dem künstlerischen Verfahren nachdenkend angeschlossen, wird der sonst im Labyrinth ausufernde Faden zum Knotenpunkt von Kunst und Politik verknüpft. Einerseits dokumentiert Salloum den spielerisch-bildhaften Umgang, der in US-Amerika das Selbstverständnis bestimmt und beherrscht, zum anderen zeigt die Ausstellung, wie diese Projektionen der amerikanischen Sichtweise ungebrochen auf die Anschauung fremder Kulturen übertragen werden. Auf diesem Wege haben amerikanische Medien den Nahen Osten in der eigenen Bildersprache vereinnahmt, wenn nicht sogar zu prägen versucht. Deren Darstellung mündet in Postkartenidyllen von Beirut bei Nacht.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß für die Aufrechterhaltung des Bildes, das sich der Westen vom Orient entworfen hat, selbst der Krieg am Golf gefochten wurde. Der Konflikt wirtschaftlicher Interessen ging zumindest mit dem kultureller Widersprüche einher, die zu »bereinigen« nicht zuletzt auch eine Aufgabe der Berichterstattung gewesen ist. Dafür ist Blut geflossen. Das zeigen die Bilder von Salloum nicht. Insofern sind sie nachdenklicher und dienen einer ernsthafteren Auseinandersetzung als bildhafte Klage.

Auf der Bildebene bleibt eine Ästhetisierung der Politik aus: Der Intention wird eine Extension des Dargestellten entgegengehalten. Von Arbeit zu Arbeit breiten sich Zusammenhänge aus, greifen in einer collagenhaft gefügten Photoecke auf allgemeine Entwicklungsprozesse der sich in Bildern wiederspiegelnden Welt über: Vom Göttermythos der Antike bis zum südamerikanischen Großbildjesus, der seine Hände schützend über Autobahnen ausbreitet. Sozialrealistischer Chinakitsch, der die Schaffenskraft des Menschen verherrlicht, bildet mit der Abbildung der »Statue of Liberty«, wie sie ein Luftpostcuvert ziert, eine ideologische Einheit.

Der reinen Politisierung des künstlerischen Schaffens verweigert sich Salloum ebenso. In der handwerklichen Perfektion bei der Verarbeitung des photographischen Materials werden größtenteils die formalen Aspekte in den Vordergrund gestellt. Bei der manchmal eher an wissenschaftliche Dokumentation gemahnenden Vorgehensweise wird der subjektive Überhang des Künstlers über weite Strecken abgebaut. Dann verlieren Sätze wie »making a difference/history making« ihr konsequentes Anliegen neben der objektiven Gleichförmigkeit des Ausgestellten.

Die grundlegende Position bleibt am Ende erhalten. »Stupid Pleasures« überwindet darin den Schock des Faktischen und stellt demgegenüber dessen Gehalt heraus. Kunst und Politik müssen nicht symbolisch zueinander transformiert werden. Ihre Verbindung ist wesentlich und zu allererst eine des Sehens. Harald Fricke

»Stupid Pleasures« in der Shin-Shin-Galerie, Waldenser Straße 2-4, Do-Sa 15- 18 Uhr