■ Ikonen aus Multiblech

Zerfallene Industrieareale, korrodierte Metallträger, Ölfässer und Maschinenteile — Rückstände einer sich in einem immer schneller vollziehenden, unkontrollierbaren Fortschritt befindenden Gesellschaft. Längst haben alltagsfreundlich gestaltete Personalcomputer den Alptraum des Industriezeitalters vom Menschen im Kampf gegen den verselbstständigten Mythos »Maschine« verdrängt.

Während die große Mehrheit diesen Wohlstandsschrott vernachlässigt, eignen sich einige »Technomanen« diese Rückstände gierig an, um ihnen in einem neuen Kontext Bedeutungen zuzuordnen, die deren wahren Charakter wesentlich näher kommen.

Zu diesen gehört die dreiköpfige Formation Dead Chickens, deren raumausfüllende, aus industriellen Ikonen konstruierten Installationen in ihrer »Low-Technology« den Alltag des Computerzeitalters kritisch kontrastieren. Kybernetische Dinosaurier, Monster und Fabelwesen sind das, die zum größten Teil aus Fundstücken wie Metallfedern, Rohren und Schaumgummi zusammengesetzt sind und auf einem monumentalen Gerüst überhalb des Zuschauers agieren. Kaum auf einmal zu erfassen sind die zahlreichen Details, wie z.B. die flackernden Augen der von Kabeln und Drähten durchzogenen Blechkörper.

Doch zum richtigen Leben erwacht dies alles erst in den Performances der drei, denn jedes dieser metallenen Urwesen — das Wort Roboter wäre hier wohl weniger angebracht — hat seine individuellen Bewegungsabläufe und somit seinen eigenen »Charakter«. Bevölkert wird diese industrielle Welt von psychedelisch grell kostümierten Gestalten, die sich in scheinbar ständiger Bedrohung durch die visionären kybernetischen Monster ihrer Umgebung befinden.

Verbunden mit einem improvisierten »Lärm«-Konzert, dem Einsatz von Licht- und Videoelementen und Effekten lassen die Dead Chickens um den Zuschauer einen neuen Raum bzw. eine neue Welt entstehen, die sich nur durch einen derartigen Angriff auf alle Sinne heraufbeschwören läßt: Eine hermetisch abgeschlossene, poetische Welt, in der möglichst weit entfernt von allen realen Zusammenhängen, neue Erlebnisräume und lebensweltliche Konzepte entstehen.

Doch was sich hier so schrecklich theoretisch und konzeptionell anhört oder gar Erinnerungen an die Beschreibung von Aktionen als »poetische, evolutionäre Räume« eines Joseph Beuys wachruft, gleicht in seiner visuellen Umsetzung viel mehr grellen Visionen und phantastischen Zukunfts(?)szenarios, wie wir sie aus neuerer Science Fiction Literatur kennen.

Vergleiche auf der künstlerischen Ebene lassen sich nur schwer finden, wenn vielleicht auch einige Zuschauer an die britische Mutoid Waste Company und deren Aktionen zusammen mit den Dead Chickens vor zwei Jahren am Görlitzer Bahnhof erinnert werden. Aber ihre Auffassung von Technologie, ihre technisches Selbstverständnis rückt Dead Chickens auch in die Nähe der »Überlebensübungen« der kalifornischen »Survival Research Laoratories«, die immer noch die Maschinerie ihrer apokalyptischen Szenarios mit Fundstücken aus dem Produktionsprozess ausgesonderter technischer Objekte aufbauen.

Doch auch wenn in der recycleten, industriellen Märchenwelt der Chickens alles vibriert, läuft, flattert, klappert oder sich auf andere erdenkliche Weise scheinbar unkontrolliert in Bewegung setzt, sei zur Beruhigung des Publikums hinzugefügt, daß wenigstens die zur Decke ragende Gerüstkonstruktion, auf der sich das alles abspielt, ruhig und stabil bleibt.Karsten Wolf

Am 4., 17., 18., 19., 24 Mai in der Galerie am Pariser Platz 4, am 15.5. Radio Subcom Special Mix, am 25.5. Pantera Show, alle Vorstellungen um 23 Uhr