Wodka, Jazz, Moskaus Straßen

Sowjetisch-französisch produzierte Haßliebe in Moskau

Der eine fährt Taxi und der andere bläst auf seinem Saxophon den Blues. Nach all den rätselhaften russischen Filmen der letzten Zeit, die man sich mühsam durch eine Unzahl von Symbolen und Allegorien zurechtinterpretieren mußte, kommt Pavel Lungin in seinem ersten Spielfilm „Taxi Blues“ ganz einfach, wild und dreckig daher: Schlikov ist der Taxifahrer und ein dumpfer, bärenbeißiger Proletarier. Schon so sehr der „typische Russe“, daß ihn nur ein russischer Regisseur so zeigen darf, weil er sonst unweigerlich zur rassistischen Karikatur verkommen wäre.

Ljosa ist der Musiker: jüdisch, versoffen und ausgestattet mit dem selbstzerstörerischen Egoismus des genialen Künstlers. Er versucht den Taxifahrer nach einer wilden Sauftour durchs nächtliche Moskau um die Fahrkosten

zu prellen, Schlikov spürt ihn auf, und für den Rest des Films entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden zu einer Haßliebe, die uns mit den Stilmitteln des amerkanischen Kinos zu den Gullys von Moskau führt.

Natürlich steht Schlikov für das alte, autoritäre Rußland und Ljosa für die neue, chaotische Offenheit. Die beiden mühen sich bis zu den Grenzen des Wahnsinns, des Todes und Delirium tremens miteinander ab — immer vor der Kulisse der trostlosen Hinterhöfe, baufälligen Häuser, Gefängnisszellen oder Kellergänge eines auf den Hund gekommenen Moskaus.

Lungin zeigt die „Main Streets“ seiner Heimatstadt mit dem gleichen Gusto wie Martin Scorsese in seinen frühen Filmen. Und nicht nur der Titel erinnert an „Taxi Driver“: Wenn Schlikow

mit manischer Verzweiflung seinen Körper stählt oder am Ende des Films in seinem Taxi zum letzten Showdown fährt, ähnelt er eindeutig De Neros Travis Bickle. Der Schluß des Films ist eine Auto-Verfolgungsjagd mit allen den Schikanen. Aber auch mit diesem etwas naiven Blick auf das amerikanische Kino macht Lungin etwas deutlich: Denn auch im Film wird das bessere Leben nur durch westliche Hemden, Autos und Reisen nach New York symbolisiert. Ljosa wird entdeckt (vom amerikanischen Saxophonisten Harold Singer, der sich selber spielt) und hat in Amerika märchenhaften Erfolg; seinem Freund Schlikow bringt er aus dem goldenen Westen eine aufblasbare Sex-Puppe mit, und am Schluß verbrennt ein roter Mercedes auf der Prachtstraße beim Kreml. Wilfried Hippen