In den Knast statt in den Krieg

■ Garlstedter Militärgericht: 14 Monate Haft für untergetauchten GI / Schwerer Weg aus der Army

21 Jahre lang hat David Chilldres sein Leben in der Welt des US- Militärs verbracht - als Sohn eines Navy-Offiziers in Hawaii, Virginia, Cuba, Spanien und als Berufssoldat in Garlstedt bei Bremen. Daß er im letzten Jahr anfing, sich von dieser Welt aus Uniformen, Waffen, Befehl und Gehorsam zu trennen, muß er jetzt mit 14 Monaten Militärknast bezahlen — und das, obwohl seine zweijährige Dienstverpflichtung bei der Army eigentlich schon Ende April zu Ende gegangen war. David Chilldres wurde gestern im dritten und letzten Garlstedter Verfahren gegen US-Soldaten, die sich dem Einsatz im Golfkrieg durch Befehlsverweigerung oder Untertauchen entzogen haben, verurteilt. In den vorangegangenen beiden Prozessen hatte es Strafen von vier und 27 Monaten gegeben.

Am Morgen des 2. Januar war Chilldres nicht mehr zu seiner Einheit „Hell On Wheels“ in Garlstedt zurückgekehrt. Bis zum Ende des Golfkriegs hielt er sich in Berlin und Bremen versteckt. Am 27. März stellte er sich schließlich dem US-Militär in Frankfurt, wurde dort zunächst für zehn Tage in die Psychiatrie eingewiesen und beantragte sofort nach seiner Rückkehr in Garlstedt die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Das unerlaubte Fernbleiben von der Truppe (Absent Without Leave — „Awol“) und seine Flucht vor der Verlegung nach Saudi Arabien (=Missing Movement“) hatte Chilldres bereits im Vorfeld des Militärgerichtsverfahrens gestanden. Seine Anwältin, die von deutschen Friedensgruppen aus den USA eingeladene Clare Overlander, konnte daraufhin mit der Militärstaatsanwaltschaft eine Höchststrafe von 14 Monaten vereinbaren.

Wäre es nach Militärrichter Green gegangen, hätte es für Chilldres sogar 16 Monate Knast gegeben. Der Mann mit kargem grauen Haar über einem üppigem schwarzen Talar hatte sich gestern hinter Aktenordnern und Kaffeebechern verschanzt und folgte den Aussagen der Zeugen nur unwillig.

Da waren zum Beispiel die Eltern, eigens zum Prozeß aus den USA herübergeflogen. Während Vater Chilldres seinen Sohn nachdenklich vom Zuschauerraum aus beobachtete, setzte sich die Mutter unter „Stars and Stripes“ in den Zeugenstuhl. Bei der Panama-Invasion hätte ihr Sohn zum ersten Mal zu Hause angerufen und offene Zweifel an der Army geäußert. „Es ist doch nicht in Ordnung, daß wir dort Zivilisten umbringen“, habe er gesagt. Ein Angsthase sei ihr Sohn aber bestimmt nicht, ergänzte die Mutter, die selber zur pazifistischen Glaubensgemeinschaft der Quäker gehört: „Seine Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung war sicher sehr schwer für ihn, weil er weiß, daß er sich damit auch gegen seinen Vater richtet.“

„Ich bin ein sehr guter Soldat gewesen“, hatte zuvor auch David Chilldres selber zugegeben, „am Anfang hat es mir auch Spaß gemacht“. Aber dann waren ihm die Zweifel gekommen: „Am 15. August habe ich zum ersten Mal versucht, mit meinem Vorgesetzten darüber zu sprechen“, erinnerte er sich vor Gericht. Doch immer wieder war er mit seinem Problem einfach abgeblitzt. Psychosomatische Störungen wie Herzrasen und Ohrensausen wurden von der Army ignoriert. „Wenn Dir Deine Ohren klingeln, warum nimmst Du dann den Hörer nicht ab?“, hatte der Militärazt lediglich gewitzelt und ein Beruhigungsmittel verschrieben.

Auch mit einem Selbstmordversuch Ende November konnte Chilldres nicht auf sich aufmerksam machen. „Ich habe mich sehr isoliert gefühlt“, erinnerte er sich gestern. Geholfen hat ihm schließlich der Kontakt zu den Bremer AntimilitaristInnen von der Initiative „Statt Krieg“, die ihn als erste ausführlich über das in der US-Verfassung garantierte Recht auf Kriegsdienstverweigerung informierten.

Und geholfen hat ihm auch seine deutsche Freundin. Während die Garlstedter „Hell On Wheels“ im Irak in die Panzerschlacht zogen, haben sie ein Kind gezeugt. Aber wenn es dann in Bremen auf die Welt kommt, wird Kriegsdienstverweigerer David Chilldres noch in Kansas oder Kentucky den Rest seiner Militärstrafe absitzen müssen. Dirk Asendorpf