Die Hausärztin, die nicht in den Golfkrieg wollte

In den USA werden jetzt die ersten Kriegsdienstverweigerer vor das Militärgericht gestellt/ Vor allem den politisch argumentierenden Verweigerern drohen Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Im Gegensatz zu anderen Kriegsdienstverweigerern geht es Dr. Jolanda Huet-Vaughan noch gut. Zwar darf auch sie ihren Armeestützpunkt nicht verlassen; doch gibt es auf ihrem Zimmer in den „Barracks“ von Fort Leonard wenigstens ein Telefon. So kann sie mit der Außenwelt, mit Familie, Anwälten und der Presse Kontakt halten. Dort in Missouri wartet die 40jährige Hausärztin, Mitglied der Armeereserve, derzeit auf die zweite Anhörung in ihrem Fall. Am 6. Mai wird sich entscheiden, ob Dr. Jolanda Huet-Vaughan wegen „Fahnenflucht mit der Absicht, einer gefährlichen Pflichterfüllung zu entgehen“ unehrenhaft entlassen wird oder ob sie sich vor einem Krieggericht verantworten muß. In diesem Fall droht der Ärztin der Reserve eine Höchststrafe von fünf Jahren Haft.

Im November 1990, als die Entsendung von US-Atomwaffen an den zukünftigen Kriegsschauplatz am Golf bekannt wurde, sprach sich Dr. Huet-Vaughan als Reservistin erstmals offen gegen die US-Politik aus. Sie, die schon vorher in der Anti- Atomwaffen-Bewegung aktiv war, sah in der Entscheidung der Bush- Administration schlicht einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag. Kurz nach ihrer Aktivierung durch die Armee im Dezember machten ihr ihre Vorgesetzten jedoch klar, daß Kritik von Reservisten an der US-Politik überhaupt nicht erwünscht war. Aus Angst, mit militärischer Gewalt zum Schweigen gebracht zu werden, entfernte sie sich von der Truppe. Jolanda ging zunächst nach New York, später dann nach Washington, wo sie bei ihren Kongreßvertretern, allesamt Republikaner, vorsprach und anschließend am 9. Januar 1991 ein Pressekonferenz abhielt.

Jolanda Huet-Vaughan ist nur eine von rund 2.000 Angehörigen der US-Streitkräfte, die sich nach Schätzungen der „War Resisters League“ zwischen August 1990 und Januar 1991 dem Militärdienst am Golf entzogen hatten. Vor und während des Golfkrieges wurde in der regierungstreuen US-Presse kaum über solche Widerständler berichtet. Bis heute hat das Pentagon keine Zahlen über Kriegsdienstverweigerer oder Deserteure veröffentlicht. Lediglich eine paar Fälle wie der von Dr. Huet-Vaughan, der Ärztin aus Kansas City, die am Golf auch als Ärztin nicht eingesetzt werden wollte, machten Schlagzeilen.

Andere wurden je nach Lust und Laune des örtlichen Kommandanten entweder unehrenhaft entlassen, trotz ihrer Verweigerung nach Saudi-Arabien geschickt oder erhielten auf ihrem Stützpunkt in den USA Ausgangssperre. Eine Grundregel für den Umgang mit den Kriegsunwilligen scheint allerdings überall zu gelten: Je kritischer und politischer diese ihre Verweigerung begründeten, um so härter erweist sich nun die Behandlung durch das Militär.

Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme im Januar, so sagt Jolanda heute, sei sie noch keine grundsätzliche Kriegsgegnerin gewesen und hatte deswegen auch noch keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gestellt. Erst der Krieg, den sie für vermeidbar, unmoralisch, illegal und verfassungswidrig hielt, kurz für ein „unnötiges Spiel mit dem menschlichen Leben“, ließ sie zur prinzipiellen Kriegsgegnerin werden. Sie kam zu dem Schluß, „daß wir die Waffen, die wir haben, nicht mehr benutzen dürfen“, daß der Krieg im Zeitalter der Hochtechnologie kein angemessenes Mittel der Konfliktaustragung mehr sein darf. Ende Februar stellte sie ihren Antrag als „conscientious objector“ (CO). Die Umweltkatastrophe der brennenden Ölquellen in Kuwait habe sie noch nachträglich in dieser Position bestärkt.

Das jetzt laufende Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerin wird allerdings die Entscheidung über einen Prozeß vor dem Kriegsgericht nicht mehr beeinflussen. Was den juristischen Umgang mit Verweigerern und Fahnenflüchtigen angeht, räumt der „Universal Code of Military Justice“ dem Kommandeur des jeweiligen Stützpunktes einen erheblichen Ermessensspielraum ein. Während das „Entfernen von der Truppe“ in Kalifornien nur als Bagatelldelikt behandelt wurde, versucht die Führung des „Marines“-Stützpunkts von Camp Lejeune für ihre Eliteeinheiten offenbar einige Exempel zu statuieren.

Dort in North-Carolina haben sich in diesen Tagen und Wochen mindestens 24 Kriegsdienstverweigerer vor dem Kriegsgericht zu verantworten. „Die kriminalrechtlichen Anklagen gegen die Marines“, so der Leiter des Rechtszentrums, Lieutenant Colonel John Atkinson, in einer eigenwilligen Interpretation der juristischen Sachlage, „hat mit den ethischen oder religiösen Ansichten (des Ankgeklagten) nichts zu tun.“ Die Verweigerer, die sich in Camp Lejeune nicht auf einen gerichtlichen Vergleich mit der Anklage einlassen — und damit ihre Schuld zugeben — sind in den bisherigen Verfahren zu Haftstrafen von 14 bis 18 Monaten verurteilt worden.

Wie die angeklagten GIs in Camp Lejeune, so wird auch Jolanda Huet- Vaughan von einer jener Gruppen unterstützt, die wie „Hands Off“ in New York aus einem persönlichen Freundeskreis entstanden oder wie „Citizen Soldier“ noch aus der Vietnam-Ära stammen. Während der konservative und jubelpatriotische 'Kansas City Star‘ insgesamt vier diffamierende Cartoons zu ihrer Person abdruckte und das Ortskrankenhaus Dr. Huet-Vaughan gar mit der Ablehnung ihrer Überweisungspatienten drohte, kann sich die Ärztin wenigstens auf ein Netzwerk von Sympathisanten und engagierten Anwälten verlassen. Diese werden auch beim Hearing am 6. Mai wieder für eine gewisse Öffentlichkeit sorgen.

Auf das Angebot eines gerichtlichen Vergleichs mit unehrenhafter Entlassung aus der Armee wird Dr. Jolanda Huet-Vaughan jedenfalls nicht eingehen. „Die Frage ist doch nicht“, so gibt sie sich in der Isolation von Fort Leonard ungebrochen, „warum ich zu dem Zeitpunkt im Militär war, sondern was die USA im Mittleren Osten zu suchen haben.“