Verheerende Flutkatastrophe

Gestern wurden bereits fast 38.000 Tote in Bangladesch geborgen/ 20 Millionen Menschen betroffen/ Viele Inseln sind im Wirbelsturm verschwunden, andere vollständig überflutet  ■ Aus Neu Delhi Bernard Imhasly

Nach dem verheerendsten Wirbelsturm in der Geschichte Bangladeschs haben Helfer des Roten Halbmondes bis Donnerstag bereits fast 38.000 Tote gezählt. Es wird befürchtet, die Zahl könnte sich auf 100.000 erhöhen. Zwar hatten die Metereologen sofort Alarm gegeben, als sich der Sturm Bangladesch näherte, doch sie schienen nicht mit seiner großen Geschwindigkeit und der Ausdehnung auf mehrere tausend Quadratkilometer gerechnet zu haben. Die größte Zahl von Opfern wird daher neben der Küstenlinie des südöstlichen Chittagong-Distrikts in den Distrikten Patukhali, Bakarganj und Noakhali erwartet.

Doch dies ist nur zum Teil einer ungenügenden Warnung zuzuschreiben. Denn diese Gebiete liegen im Mündungsgebiet des Meqhna- Stroms, der etwas weiter stromaufwärts den Brahmaputra und Wasser des Ganges aufgenommen hat und daher große Mengen an Löß mitführt. Die im untiefen Delta der Bucht von Bengalen dabei gebildeten Inseln werden kurz nach ihrem „Auftauchen“ von Fischern des Festlandes bevölkert, denen nach einigen Jahren zur Bebauung des fruchtbaren Landes auch Bauern folgen — oft nur für die Monate zwischen den Monsunstürmen. Das tödliche Risiko, auf Land zu leben, das nur knapp über, oft sogar unter dem Meeresspiegel liegt, wird allerdings nicht wegen dem fruchtbaren Land und des Fischreichtums auf sich genommen. Es ist vielmehr das Resultat der katastrophalen Bevölkerungsdichte, welche die Menschen zwingt, die relativ sichere Festlandküste zu verlassen und auf diesen „schwankenden Inseln“ ein Überleben zu suchen.

Viele dieser Inseln sind nun im Wirbelsturm verschwunden, andere vollständig überflutet. Die angelegten Erddeiche, zuerst durch tagelange Regenfälle aufgeweicht, konnten der Sturmflut von bis zu sieben Metern Höhe nicht standhalten. Es ist daher anzunehmen, daß sich die Zahl der Opfer noch erhöhen wird, sobald in diesen vielen kleineren und größeren Inseln ein genauerer Überblick gewonnen werden kann. Aber auch Gebiete bis tief ins Landesinnere sind wegen der extrem kleinen Geländeerhöhungen schwer getroffen worden. Der in Bangladesch Padma genannte Ganges hat auf den über 400 Kilometern seines Weges vom Eintritt ins Land bis zur Mündung ein Gefälle von knapp 20 Meter, und Flutwellen können sich so mit größter Zerstörungswucht durch die feinen Verästelungen des Flußssystems und der Kanäle fortsetzen.

Ohne die im Bereitschaftsprogramm für Wirbelstürme — das nach der Sturmkatastrophe von 1970 eingerichtet worden war — vorgesehene Warnung und Evakuierung wäre die Zahl der Opfer noch bedeutend höher ausgefallen. Tausende von ausgebildeten Helfern wurden zum Teil über Funk aufgerufen, die Informationen lokal zu verbreiten und Evakuierungen vorzubereiten. Doch die etwa 300 Schutzgebäude bieten nur 350.000 Menschen Schutz, eine erschreckend winzige Zahl angesichts der über 20 Millionen Menschen, die in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Die Regierung hat rasch begonnen, mit dem UNDP, den bilateralen Entwicklungsorganisationen und privaten Gruppen Hilfsoperationen in die Wege zu leiten. Erste Konvois mit Hilfsgütern sind von Dhaka aus unterwegs. Besonders medizinische Hilfe wird dringend gebraucht, da bald Epidemien auszubrechen drohen, welche die Zahl der Opfer noch weiter anschwellen lassen können.