Der Libanon bleibt ein zerstückeltes Land

■ Reguläre libanesische Armee übernimmt die Kontrolle in Christen- und Drusengebieten über die Häfen/ Milizen hielten sich nur teilweise an Regierungs-Ultimatum für Waffenabgabe/ Lediglich Drusen lieferten Waffen vollständig ab — an Syrien

Beirut (dpa/ap) — Nach über eineinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg im Libanon hat die reguläre libanesische Armee am Mittwoch planmäßig begonnen, die letzten von Christen- und Drusenmilizen kontrollierten Gebiete unter ihre Oberhoheit zu nehmen. Entsprechend einem Beschluß der libanesischen Regierung vom 28. März, der eine Entwaffnung der verschiedenen Kampfverbände bis 30. April vorsah, rückten am 1.Mai über 8.000 Soldaten mit gepanzerten Wagen, Lkw's und Panzern von Beirut aus in das christliche Kernland von Kiswerwan und die Drusengebiete in den Schuf-Bergen ein.

Ein Armeeverband bewegte sich in die Stadt Dschunieh, die während des Bürgerkriegs der Christenmiliz ,Forces Libanaises‘ als Hauptquartier gedient hatte, ein anderer in die Stadt Dschubail. Dabei wurde der berühmte Kontrollpunkt ,Barbara‘ zerstört, den die Christenmilizen als Markierung der Nordgrenze der christlichen Enklave während des Bürgerkriegs gehalten hatten. Seit gestern kontrolliert die libanesische Armee auch die Häfen.

Die Miliz der Drusen hat ihre Waffen der syrischen Armee übergeben. Auch die Christenmiliz ,Forces Libanaises‘ hat ihre Militärorganisation aufgelöst und ihre Kämpfer aufgerufen, keine Waffen und Uniformen mehr zu tragen. Am Mittwoch übergaben sie einen Großteil ihres Waffenarsenals, darunter Hubschrauber und schwere Waffen, an die reguläre libanesische Armee.

Das Ultimatum des libanesischen Staatspräsidenten Hrawi an die Milizen des Landes zur Abgabe aller schweren Waffen wurde jedoch nur teilweise befolgt. Die ,Forces Libanaises‘ geben nach Auskunft eines Sprechers zunächst nur die Waffen zurück, die sie von der libanesischen Armee erbeutet haben. Die proiranische Organisation Hisbollah ließ erklären, sie werde sich dem Einrücken der libanesischen Armee in ihr Operationsgebiet zwar nicht widersetzen, die Waffen aber erst nach einem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon niederlegen.

Das von Israel als 'Sicherheitszone‘ beanspruchte Gebiet im Südlibanon umfaßt immerhin 1.100 Quadratkilometer. Es wird weitgehend von der vorwiegend aus Christen bestehenden, mit Israel verbündeten Miliz ,Südlibanesische Armee‘ (SLA) kontrolliert, die 2.500 Mann zählt. Die SLA hat sich ebenso gegen den Entwaffnungsplan des libanesischen Staatspräsidenten Hrawi ausgeprochen wie die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die 6.000 Kämpfer in Südlibanon stehen hat. Im ostlibanesischen Bekaa-Tal befindet sich ein 3.000 Mann starkes Kontingent der iranischen Revolutionsgarden, das 1982 einrückte, um der israelischen Invasion Widerstand zu leisten. Der iranische Präsident Rafsandschani hat, wie aus seiner Umgebung verlautete, bei einem am Montag beendeten dreitägigen Besuch in Damaskus mit dem syrischen Staatschef Hafis el Assad vereinbart, daß dieses Kontingent weiter in Libanon bleibt.

Wie es hieß, gewann Rafsandschani Syrien, das die Rolle einer Ordnungsmacht im Libanon beansprucht, auch dafür, daß die Hisbollah ihre Waffen behalten darf, solange Israel im Südlibanon die Kontrolle benhält. Die Beiruter Zeitung 'An Nahar‘ zitierte vorgestern einen namentlich nicht genannten Hisbollah-Führer mit den Worten, seine Organisation sei von dem Plan zur Entwaffnung der Milizen „nicht betroffen“. Sie verfüge über keine schweren Waffen und mische sich in die innerlibanesischen Kampfhandlungen nicht ein. Ihre Waffen dienten nur der „Bekämpfung des israelischen Feindes“. Die Hisbollah zählt rund 3.000 Kämpfer. In ihrer Hand dürften die meisten der im Libanon festgehaltenen 13 westlichen Geiseln — darunter zwei Deutsche — sein. Dies erschwert ein Vorgehen der libanesischen Armee gegen die Miliz. Gleichwohl betonte der libanesische Verteidigungsminister Michel Murr gestern, die Milizen hätten den Regierungstruppen etwa 80 Prozent ihrer Waffen übergeben.

Anders als in den übrigen Gebieten Libanons wurden die nunmehr einrückenden Verbände der regulären Armee in den Christen- und Drusengebieten von der Bevölkerung mit Zurückhaltung, ja Feindseligkeit empfangen. Die Menschen fürchten, nach der Entwaffnung ihrer Milizen könnten jetzt syrische Kräfte — ihr Hauptfeind in den letzten zehn Jahren — die Oberhand gewinnen. Den Christenmilizen war jedoch sowohl von Damaskus als auch von der libanesischen Regierung garantiert worden, daß keine syrischen Soldaten oder Geheimdienstleute ihr Gebiet betreten dürften. Die Beiruter Presse hingegen begrüßt die jetzige Entwicklung. „Der 1. Mai ist der Anfang vom Ende des Bürgerkriegs“, schrieb das liberale Christen-Blatt 'Ad-Diyar‘. Die linksgerichtete moslemische Zeitung 'As-Safir‘ schrieb: „Waffen und Bürgerkrieg — adieu“.

Der Bürgerkrieg in Libanon hatte im Jahr 1975 begonnen. Er wurde 1989 durch das Abkommen von Taif beendet, das den Moslems einen größeren Anteil an der politischen Macht in Libanon sichert.