Streit um die Oberherrschaft im Lager

Türkischer Landrat wurde von britischen Soldaten am Zutritt zum Lager „Yesilova“ gehindert/ Vorfall erregte heftige Reaktionen in der Türkei/ Tägliches Hickhack um die Souveränität des Landes  ■ Aus Istanbul Antje Bauer

Die Koexistenz von Tausenden alliierter Soldaten mit ihren türkischen Kollegen an der türkisch-irakischen Grenze leidet zunehmend. Neuester Anlaß für Unmut ist der am Mittwoch gescheiterte Versuch eines Landrats der Grenzstadt Semdinli, Erdogan Ülker, die Lebensmittelverteilung an kurdische Flüchtlinge im Lager Yesilova zu überwachen. Anlaß für den Besuch des Landrats war ein in der britischen Zeitung 'The Independent‘ erschienener Artikel, demzufolge türkische Soldaten Hilfslieferungen für die Flüchtlinge stehlen und in den Märkten der umliegenden Dörfer verkaufen. Britische Soldaten, die die Lebensmittelverteilung überwachten, hinderten den Landrat am Zutritt zur Verteilerstation, und nachdem es beiden Seiten nicht gelang, die Sprachbarrieren zu überwinden, wurden der Landrat und seine Begleitung zurückgedrängt, angeblich richteten dabei einige Soldaten das Gewehr auf ihn.

Die beteiligten Soldaten wurden von ihren Offizieren gezwungen, sich bei dem Landrat zu entschuldigen, sie verließen Semdinli noch am selben Abend und müssen innerhalb von 48 Stunden aus der Türkei ausreisen. Obwohl der Zwischenfall eher banal ist, erzeugte er in der Türkei doch heftige Reaktionen. Im staatlichen Fernsehen wurde er als Topnachricht gemeldet, und der Vorsitzende der oppositionellen Sozialdemokratischen Volkspartei SHP, Erdal Inönü, erklärte gegenüber der Tageszeitung 'Cumhuriyet‘: „Gerade solche Ereignisse haben wir gemeint, als wir gesagt haben, daß der Regierung die Kontrolle (der Gebiete) entglitten ist.“

Kleinere Auseinandersetzungen um die Oberherrschaft über die Grenzgebiete, in denen sich zur Zeit die alliierten Truppen befinden, finden täglich statt. Türkische Grenzbehörden fühlen sich übergangen, wenn die alliierten Truppen sich bei der Überfahrt in den Irak nicht kontrollieren lassen wollen und sind daher doppelt eifrig. Andererseits wurden die alliierten Lager vor etwa einer Woche aufgefordert, ihre Nationalfahnen wieder einzuziehen, die sie dort gehißt hatten. Der von der ausländischen Presse verschiedentlich erhobene Vorwurf, die türkischen Soldaten hätten mehrere Flüchtlinge erschossen, wurde vor kurzem von der Tageszeitung 'Hürriyet‘ mit einem riesigen Foto auf ihrer ersten Seite gekontert, der einen in Panik geratenen amerikanischen Soldaten zeigt, wie er sein Gewehr auf Flüchtlinge anlegt. Nicht alle teilen freilich die Empörung über den Souveränitätsverlust der Türken im Osten des Landes. „Die haben jetzt nichts mehr zu melden“, sagte deutlich befriedigt ein Kurde, als er in der Grenzstadt Silopi einem Laster voller türkischer Soldaten nachsah. „Jetzt müssen sie vor den Amerikanern kuschen.“