Dickes Bübchen, böses Kind

■ Neunzig Minuten „Total normal“ mit Hape Kerkeling: Wo Kerkeling draufsteht, ist nicht nur Hape drin

Die Unterhaltungsredaktion von Radio Bremen hatte mal einen guten Ruf — mit dem Ende von „Extratour“ ist er dahingegangen. Seither wurde hartnäckig herumgemurkst: mit Jürgen Lippert, dem zwanghaft lachenden Vagabunden, der am „Kessel-Buntes“- Frohsinn von „drüben“ schier zu ersticken droht; mit Margarethe Schreinemakers, die ihren Perückenfetischismus und aufgekratztes Kreischen für komödiantisch hält — und an die Allzweck- Waffe Jörg Wontorra auf seinem miefigen „Kanapee“ sollte man besser gar kein Wort verschwenden. Danach konnte es einfach nicht weiter abwärts gehen, und daß Radio Bremen dann Hape Kerkeling verpflichtete — der damals ebenfalls an Ruhm-Verlust zu leiden hatte —, war wohl in erster Linie ein Pakt der Not von zwei Vertragsparteien, die nichts mehr zu verlieren hatten. Doch Wunder gibt's auch im Fernsehen immer wieder: der Lauser Kerkeling hat mit seiner virtuosen Infantilität, mit seiner provozierenden Pennälerhaftigkeit nicht nur das Publikum, sondern auch Preis-Jurys entzückt: „Grimme“- Silber hat er für Radio Bremen eingesackt mit seinen Dreiviertel- Stunden-Auftritten „Total normal“. Und weil das Fernsehen die Tendenz hat, Erfolgs-Figuren so gründlich auszubeuten, bis man sie nicht mehr sehen kann, ist es nur logisch, wenn Radio Bremen die Silber-Gans jetzt breitklopft, die Sendezeit für Kerkeling verdoppelt.

Neunzig Minuten Kerkeling also: Das war schon mal geschwindelt, denn neben Kerkeling gab es (außer Nina Hagen und Thomas Gottschalk als sächsischem Trabbi-Fahrer) verstaubte Show-Einlagen zu ertragen, denen die Ausgelaugtheit der Unterhaltungsredaktion wie Muff entquoll: geradezu würdelos der Umba-Umba-Bimbo Elvis Mokko, der ohne Zähne Stühle hob, mit Jörg Wontorra als eifrigem Adlatus — wann wird man, um Himmels Willen, bei Radio Bremen einsehen, daß dieser Sportreporter auf Unterhaltungsbühnen nichts verloren hat? Boy George mit „Hare Krishna“: du liebe Zeit, in welcher Ära befinden wir uns denn? Und der berühmte Sänger mit seiner Band — Namen vergessen und nichts verpaßt: Wer soll sich von solchen lahmen Enten unterhalten lassen? Auch Thomas Gottschalks Spielfilm-Ausschnitt samt der „Mitropa“-Kaffeemaschine, die auf dem Leipziger Marktplatz gefunden werden sollte: billiges Füllmaterial, um eine 90-Minuten-Mogelpackung auszustopfen, auf der zwar „Kerkeling“ draufstand, in der aber viel Ramschware verborgen war. Doch immer wenn Kerkeling auftrat, war man mit dem Drumherum erstmal versöhnt: Dies dicke Bübchen, das

Hier Hape

als Beatrix

Lauser Beatrix, in der Mogelpackung eines bekannten Bremischen LangautoherstellersF.: T.Vankann

böse Kind lebt ja vom Chaos, das er persönlich produziert, wie bei dem herrlich blöden Auftritt als Königin Beatrix, die huldvoll-ungelenk mit Hütchen und Kostüm herumstapft und Protokollbeamte zur Weißglut bringt. Oder — eins seiner Markenzeichen — der Klingelüberfall bei arglosen Menschen wie der „Frau Meyer“ ( „Dürfen wir reinkommen? Wir sind nur zu fünfzehn“), denen er erst Gewinne aufdrängt, um ihnen dann, bei falscher Antwort, ihr Hab und Waschmaschinen- Gut zu nehmen.

Und so, wie er den Leuten auf den Pelz rückt, drängt er sich auch in die Kamera hinein (“Sind wir drauf? Alles live“): ein Parodist der Eitelkeit, denn diese Kamerageilheit macht ihn potthäßlich, verzerrt sein dickliches Gesicht, mit dem er jählings Grimassen schneiden kann wie außer ihm nur noch Hella von Sinnen. Und wenn

er selbst in Wut gerät, zitternd von Emotionen fortgerissen wird, wenn er das Publikum gellend anschreit (“lachen Sie nicht so blöd“) — dann kommt man sich vor wie auf einer durchgedrehten Butterfahrt: Das spießige Mittelmaß in seiner entfesselten Gestalt ist Kerkelings komödiantisches Milieu, in dem er ausgebufft naiv herumturnt.

Ein Quiz, gesponsert von „Mitropa“, ist der genial erdachte Rahmen für seine Albernheit. Jetzt frage ich mich bloß: Warum muß die Show dieses anarchischen Parodisten der Mittelmäßigkeit mit echtem Mittelmaß überflutet werden?

Sybille Simon-Zülch