Berlin in neuer Verfassung

■ Verfassungsdiskussion wird von Koalitionsparteien nicht vorangetrieben/ Humanistische Union will mit Podiumsdiskussion Debatte ankurbeln

Berlin. In der umfänglichen Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD ist ein Abschnitt auch dem Thema Verfassungsreform gewidmet. Für die Überarbeitung der mit wenigen Änderungen auf ganz Berlin erstreckten Westberliner Verfassung soll eine Enquetekommission eingesetzt werden, heißt es dort. Auf diesem Feld ist allerdings bisher nichts passiert, was bei den 100-Tage-Bilanzen dezent verschwiegen wurde.

Die Koalitionsfraktionen haben es mit dem Thema nicht allzu eilig. Berlin habe derzeit wichtigere Probleme zu lösen, ist allenthalben im Schöneberger Rathaus zu hören. Volker Liepelt, im Fraktionsvorstand der CDU, gab gegenüber der taz zu, man habe die Angelegenheit in seiner Fraktion bisher »nicht sehr vertieft«. Noch vor der Sommerpause wolle man aber mit der SPD ein entsprechendes Gesetz einbringen. Im günstigsten Falle, so Liepelt, könne die Kommission dann im Herbst anfangen zu arbeiten. Über die Größe und Zusammensetzung der Kommission sowie über die Frage von Experten, die herangezogen werden könnten, herrscht bisher kaum Klarheit.

Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grünen, Renate Künast, kritisierte das Verhalten der Koalitionspartner gestern scharf. Durch die zögerliche Haltung werde die Verfassungsdiskussion von vornherein entwertet. Um die Verfassungsdebatte in Berlin wieder anzukurbeln, veranstaltet die Humanistische Union (HU) am Montag abend eine Diskussionsveranstaltung, an der neben dem Verfassungsrechtler Jürgern Seifert Vertreter aller Fraktionen im Abgeordnetenhaus teilnehmen. Als Diskussionsgrundlage hat die HU ein Thesenpapier vorgelegt, das an die Vorstellungen der Bürgerbewegungen aus dem letzten Jahr anknüpft.

Gefordert wird dort beispielsweise die Verankerung von mehr plebiszitären Elementen wie Volksbegehr und Volksentscheid auch bei Gesetzgebungsverfahren. Ähnlich wie in der DDR-Verfassung soll auch Nichtparteien, also den Bürgerbewegungen, Verfassungsstatus zugebilligt werden. Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien hat allerdings schon unmißverständlich klargemacht, daß sie von solchen »Runde-Tisch-Ideologien« gar nichts halte. kd

Die Veranstaltung »Berlin — in neuer Verfassung« findet am Montag, den 6.5. um 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg statt, Raum 0170.