„Ich fühl mich wohl“

■ Steffi Graf präsentiert sich beim Hamburger Turnier erwachsen, freundlich und trotzdem erfolgreich

Hamburg (taz) — Nur noch anderthalb Wochen bis Pfingsten, knapp die Zeit, bis Christi Himmelfahrt zu gedenken ist. Zeit der Gebete also, mithin günstig der Moment, Abbitte zu leisten. Vergeben soll uns eine, die wir jahrelang gescholten haben, ein everybody's boring darling zu sein, nichts als eine Vorhandmaschine, ein Kind der Kohlzeit und eine ideelle Gesamttochter der Frau Sommer mit dem Jacobs-Kaffee: Stefanie Maria Graf, ganz im Ernst.

Die junge Frau aus dem Badischen präsentiert sich in Hamburg angelegentlich des Internationalen Frauentennisturnieres als Weltstar in spe. Soll heißen: Nur noch Spurenelemente der zwar sportlich besten, aber charismatisch leider zu Sauerkrautereien jedweder Art neigenden Spielerin sind zu bemerken. Übte die Graf früher nach jedem ihrer kurzen Auftritte auf den Courts dieser Welt Selbstkritik, muffelte über „Konzentrationsschwächen“ oder Defizite im eigenen Bewegungsablauf, so spricht sie heute wie eine angehende Königin: selbstbewußt, maliziös und freundlich, rhetorisch jeweils versehen mit einer Spur von Zickigkeit, gleichwohl kokett.

Nach ihrem 6:1, 6:3-Auftaktsieg gegen die Münchnerin Marketa Kochta vermied sie es, die auf den Rängen zu würdigen. Also kein „Das Publikum war phantastisch“ oder „Ich liebe es, hier zu spielen“. Nein, präzise wie früher ihre Vorhandangriffe auf die Grundlinie niederklatschten, erzählte sie, daß ihr nur ein Sandplatzturnier vor den French Open — nämlich das in Berlin — nicht genüge. Deshalb sei sie in Hamburg.

Das Grafsche Spiel ist heuer nicht mehr die präzise Wertarbeit jener Zeiten, in denen ihre Matches nur nach Minutendauer bewertet wurden. Mittlerweile benötigt sie oft mehr als eine Stunde, baut immer noch auf die geprügelte Vorhand und buttert unterschnittene Rückhandbälle auf die Schläger ihrer Gegnerinnen. Sie habe ihr Potential noch nicht ausgeschöpft, sagte sie, „aber ich habe hart trainiert und bin gut drauf“. Ist sie also gekommen, weil ihre Rivalin Monica Seles auch da ist? „Vielleicht“, dekretierte sie, grinste und meinte: Was wohl sonst? Und auf die Frage, ob heuer Publikum und Presse netter mit ihr umgingen, reagierte sie herzerfrischend: „Mit dem Publikum gab's ja noch nie Probleme...“ Stockte im Redefluß, runzelte die Stirn, die sich darob in Lachfalten legte und prustete los: Die Pressemeute mußte sich solche Spitzen von „der Steffi“ noch nie gefallenlassen.

Und weil dieser verbale überrissene Return so trefflich saß, wagte es auch niemand mehr, nach einem neuen Trainer, einem neuen Vater oder einer neuen Technik zu insistieren... Jedenfalls: Die Dame gewinnt durch ihre gelöste, beinahe kosmisch-heitere Art sehr. „Ich fühl mich einfach wohl“, sagte sie nach ihrem zweiten Auftritt, den sie gegen die Französin Halard 6:2, 6:3 gewann, obwohl man doch einen gewissen Frust erwarten durfte.

Schließlich hatte Stefanie Maria Graf bereits am Dienstag ihre Zweitrundenpflicht absolviert, um am Donnerstag frei zu haben. Doch Regenwetter, so untypisch für Hamburg wie sonst gar nix, machten ihren Wunsch nach Überstundenausgleich zunichte. Und erzählte, daß sie den spielfreien Mittwoch faulenzend, im Bett verbringend (kichernder Einschub: „aber allein — das sage ich gleich“) und durch Hamburg flanierend verbracht habe. Das Wetter sei kaum ihr Problem, „ich muß hier ja nicht das ganze Jahr leben“, in der Stadt, die sie als „so dunkel“ empfindet.

Und mit Blick auf den Finalsonntag, wo sie höchstwahrscheinlich auf Monica Seles treffen wird, hauchte sie „Ich mag es sehr, gegen sie zu spielen“ ins Mikro. Man kann nicht umhin, aber sie ist auf dem Weg, tatsächlich die Beste unter den ganz Guten zu werden. JaF/tak