Atomschocker mit gebremstem Schaum

■ „Todeszone — Supergau in Deutschland“, Donnerstag, ARD 20.15 und 23.00 Uhr

Wenn die Fernsehansagerin Karin Tietze-Ludwig der Nation zur besten Sendezeit als veritablen Atomschocker einen Supergau in Deutschland ankündigt („das könnte so in jedem deutschen Kernkraftwerk passieren“), dann spätestens weiß auch der letzte, daß der seit zwei Jahrzehnten geführte Streit um die strahlenden Meiler entschieden ist und die Atomiker sich greinend verabschieden. Noch so viele Rundschreiben, Proteste und Argumentationshilfen der einschlägigen Zunft konnten die Ausstrahlung der „Todeszone“, ein Szenario über einen Kernschmelzunfall im Reaktor von Biblis, nicht verhindern. Die Wirkung des Films ist verheerend, oder wie der Bonner Umweltvorsteher Klaus Töpfer in der anschließenden Diskussionsrunde sagte: „eine bedrückende Intensität, die den Bürger aufgewühlt hat“.

Dabei haben die beiden Autoren Joachim Faulstich und Georg M. Hafner alles andere als eine saftige Horror-Show abgedreht. Die Bilder von Evakuierung, Notversorgung und Entseuchung der Strahlenopfer wirkten eher wie die Notstandsübung von Feuerwehr und THW in einer schwäbischen Kleinstadt. Schreiende Kinder, Leichen auf den Straßen, panische Flucht, Mord und Totschlag, Chaos und Inferno wurden gerade nicht gezeigt, sondern höchstens angedeutet.

Ein paar Blaulichter, einige Absperrgitter mit Radioaktivitätszeichen, ein Nachrichtensprecher, der den „Austritt großer Teile des Aktivitätsinventars des Reaktors“ und die angeordnete Evakuierung von Darmstadt bekanntgibt, Staus und hupende Autos, Bilder von verlassenen Wohnvierteln, verödete Fluren: Doch das wirkliche Ausmaß einer solchen Katastrophe mitten im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet produziert sich erst im Kopf des Zuschauers, wenn er den Ernstfall zu Ende denkt.

Um sich dem Vorwurf unseriöser Panikmache zu entziehen, arbeiten die beiden Autoren geschickt mit Experten und Dokumenten. Sie zeigen nichts anderes als das, was in deutschen Risikostudien, kommunalen Katastrophenschutzplänen und offiziellen Störfallberechnungen als mögliches Szenario vorgedacht ist. Das Restrisiko tritt gewissermaßen in seiner regierungsamtlichen Version aus dem Kleinhirn der Verdrängung hervor.

Daß dieses Restrisiko besteht, konnten auch die ins Fernsehstudio geladenen Atomtheologen Hlubek (RWE), Töpfer und Jacobi (Reaktorsicherheitskommission) anschließend nicht bestreiten. Töpfer versuchte es, blieb aber bei der Formulierung hängen, daß er den Supergau in Deutschland „nicht für realistisch“ halte und daß alles getan werde, ihn zu verhindern. Seine hausinternen Gutachter beziffern die Wahrscheinlichkeit für eine Hochdruckkernschmelze immerhin auf 1:33.000 Jahre. Bei 420 Reaktoren weltweit bedeutet dies einen Ernstfall innerhalb von 78 Jahren. Das kann im Jahr 2011 in einem japanischen Reaktor passieren oder morgen früh in Biblis mitten im Rhein- Main-Gebiet.

Die Schwächen des Films lagen darin, daß er das Szenario in einigen Teilen geschönt hat. Anders als in der Sowjetunion würde der Supergau hierzulande auf eine atomar aufgeklärte Bevölkerung treffen. Und es würden sich sicherlich keine Feuerwehrleute und THW-Helfer mehr finden, die ihren Kopf für die Welt hinhalten. In einem Land, in dem schon ein Molkezug für Schreikrämpfe gesorgt hat, wäre der Supergau das Ende der Zivilisation. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Film von Faulstich und Hafner hat diese Dramatik zumindest angetippt. Und er hat sicher ein deutsches Fernseh-Tabu gesprengt. Wenn es jetzt noch gelänge, die pädagogische Nachbereitung solcher Sendungen durch anschließende Diskussionsrunden zu verhindern, dann könnte man den hessischen Rundfunk uneingeschränkt und kräftig loben. Der größte anzunehmende Unfall des Fernsehens wäre aber eine brisante und aufwühlende Sendung, die den Zuschauern mit seinen gefährlichen Gedanken alleine zurückläßt. Und das wäre schröcklich! Manfred Kriener