POLITISCHE WAFFE: BOYKOTT

■ Aufrufe zum Tourismusboykott haben Tradition, aber wenig Wirkung

Aufrufe zum

Tourismusboykott haben Tradition,

aber wenig Wirkung

VONYÖRNKREIB

„Jetzt ist die beste Zeit, in die Türkei zu reisen. Entdecken Sie die Türkei, modernste Hotels ... unberührte Landschaften... Lernen Sie Menschen kennen, deren sprichwörtliche Gastfreundschaft berühmt ist.“

Längst nicht an jeden richtet sich diese Aufforderung des Türkischen Generalkonsulats. Angesprochen sind deutsche Touristen. Menschen, die Geld ins Land bringen sollen. Menschen, die die staatlich verordnete Gastfreundschaft mit harter D-Mark honorieren. Menschen aber, deren nacktes Überleben zur Zeit von türkischer Gastfreundschaft abhängt, bleiben ausgesperrt. Zu den ungeliebten türkischen Kurden will man nicht auch noch die vor den Bombenangriffen Saddam Husseins fliehenden irakischen Kurden ins Land lassen.

Während das Militär die Grenze zum Irak abzuriegeln versucht, für die Kurden bestimmte Hilfslieferungen in die eigenen Taschen umleitet, wird auf der anderen Seite alles getan, um die devisenbringenden Touristenscharen über die Grenze ins Land zu holen. Zwanzig Millionen Dollar hat die türkische Regierung für ein Soforthilfeprogramm vorgesehen, von dem nicht nur die türkische Tourismusindustrie, sondern auch deutsche Türkei-Reiseveranstalter profitieren sollen. Die Devisen aus dem Tourismus sind überlebensnotwendig.

Medico international und die Gesellschaft für bedrohte Völker haben sich mit einem Aufruf zum Tourismusboykott der Türkei an die Öffentlichkeit gewandt. Tourismusboykott als politische Waffe.

Politische Repression, Unterdrückung von Minderheiten, ist auch in anderen Ländern zu finden: Indonesien, Tibet, Sri Lanka, Sudan... Auch die „Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes (GFSV) und andere Organisationen fordern: „Kein Urlaub in Marokko“, solange Marokko Krieg gegen das sahrauische Volk führt und das von der UNO geforderte Referendum über die Unabhängigkeit der 1976 von der Polisario gegründeten „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ verhindert.

M e n s c h e n r e c h t s v e r l e t z u n g e n werden zwar von etlichen Touristen kritisiert, doch die Urlaubsentscheidung beeinflussen sie kaum. Die Mehrzahl der Touristen reagiert in erster Linie auf den konkreten Zugriff zum eigenen Geldbeutel. Nicht die Meldungen über die schreckliche Situation der Kurden an der Grenze zur Türkei, sondern die Zusage, daß „ihre Mark in der Türkei einfach mehr wert“ sei (Türkisches Generalkonsulat), wird für die meisten Touristen entscheidend sein. Sicherlich erreicht ein Boykottaufruf zur Zeit mehr Leute, da die Vernichtungspolitik gegen die Kurden ein Ausmaß erreicht hat, das die Medien auf den Plan rief.

Während die GFSV Reisen nach Marokko und die Gesellschaft für bedrohte Völker Reisen in die Türkei generell ablehnt, versucht medico international eine etwas heikle Gratwanderung. Urlaub in den Touristenghettos an der Mittelmeerküste— nein! Studienreisen nach Türkisch-Kurdistan, wenn sie den Interessen der Opfer des Regimes nutzen— ja! Studienreisen nach Türkisch-Kurdistan könnten der Information über die Lage in der Türkei dienen und den Menschen dort demonstrieren, daß der ausländischen Öffentlichkeit ihr Schicksal nicht gleichgültig ist, heißt es im Aufruf. Kann hier doch leicht der Eindruck entstehen: eine kleine Elite (die mit dem „richtigen“ Bewußtsein) darf in die Türkei reisen, die „dummen“ Massentouristen aber dürfen es nicht. Persönliche Abwehr, Distanzierung und Wut wären die verständlichen Reaktionen: „Jetzt fahren wir erst recht! Wir lassen uns doch nicht vorschreiben, wo wir Urlaub machen dürfen!“

Auch die Tourismusindustrie wird sich das Ferienspektakel nicht vermiesen lassen. Sie entzog sich ihrer Verantwortung schon immer, indem sie verlauten ließ, Tourismus und Politik hätten nichts miteinander zu tun, und außerdem wolle man sich nicht in die innenpolitischen Verhältnisse der Reiseländer einmischen. Von der Tourismusindustrie, ohne deren Mitziehen ein Tourismusboykott kaum Erfolg haben dürfte, ist hier nichts zu erwarten. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob der Boykott nur eines (wenn auch sehr wichtigen) Wirtschaftssegmentes (Tourismus) ausreichen würde, um die türkische bzw. marokkanische Regierung zur Änderung ihrer Politik zu bewegen.