Erneut Bedenkliches

■ Hoppe, Hoppe, Rinser. Unsere Presse: Ein Geriatrikum

Die Menschen nehmen an Alter zu, die Ehrungen reißen nicht ab. Marianne Hoppe wurde 80, und die 'SZ‘ gratulierte feinsinnig: Die Hoppe hat Zukunft. Die hat gewiß der Autor dieser Zeilen, der den Mut zum Paradoxen hat und sein Lob anhob mit der Feststellung: Das Tollste an Marianne Hoppe ist ihre Jugend, um fortzufahren, sie sei einfach kompliziert. Um das Komplizierte zu vereinfachen, wird alsbald das Hoppe-Spiel der Hoppe eine für alle äußerst amüsante Komödie, kurz: zum Hoppe-Hoppe-Reiter. Wir wissen nicht, welcher Teufel diesen Hoppe-Freund und Hoppe-Verehrer ritt, der solches für sie formulierte, neigen aber nach dem ebenfalls 80. Geburtstag der Beinahe-Bundespräsidentin Luise Rinser der Auffassung zu, daß die allerschlimmste Ehrung wohl die eigne Rede ist. Zu ihrem Ehrentage am 30. April sprach die Dichterin, deren Auflage allein ihrer deutschsprachigen Werke an die fünf Millionen heranreicht, über sich, den Papst und die Welt, und diese ihre Äußerungen sind von einer Art, wie wir sie keinesfalls verschweigen wollen. So gab die Jubilarin auf die Frage: „Wie mitschuldig sind die Intellektuellen an einem Unrechtssystem?“ zu bedenken: Schuld, mein Gott, so ein großes Wort. Haben sich die Intellektuellen unter Hitler schuldig gemacht? Persönlich ja. Manche sind aus Deutschland weggegangen. Thomas Mann doch per Zufall, wo er mal draußen war. Und er konnte es sich auch leisten, weil er so berühmt war, nicht so arm wie andere. Da bin ich, sagt die tapfer Daheimgebliebene, ein bißchen hart. Schuldig sind wir alle. Ich bin schuldig, ich hab ein Auto, ich verschmutze die Luft. Ich bin schuldig, weil ich nicht immer laut genug geschrieen habe, worin wir anderer Ansicht sind. Aber warum hat sie zum Golfkrieg so lange geschwiegen? Ich hab heute, sagt sie, zum ersten Mal wieder gearbeitet. Ich war, schon wieder, verstummt, konnte nicht Stellung nehmen. Es war wie eine Lähmung. Ich war auch krank. Eine Krankheit, ach, die man nicht fassen konnte... Das Ultimatum der Alliierten war falsch. Es war dumm. Einem Araber stellt man kein Ultimatum. Ich habe mich erst wahnsinnig aufgeregt. Dann kam auch noch die Aufregung mit der DDR dazu... Als der Krieg ausbrach, bin ich nicht mehr von dem Fernseher weg. Eine Woche, Tag und Nacht habe ich hier gesessen. Ich glaube, ich hab auch gar nicht mehr gegessen. Ich weiß gar nicht, wie ich gelebt habe, ich habe nicht gelebt. Und 'dpa‘ fragt die Zurückgekehrte, wie sie den Konflikt beurteilt habe? Saddam Hussein versteh' ich. Ich verstehe auch Hitler, der krankhaft war, was Saddam nicht ist. Aber Saddam hatte eine Vorstellung von einem arabischen Großreich. Das ist eine legitime Vorstellung. Was er dann gemacht hat, ist natürlich verdammenswert... Jetzt denke ich etwas differenzierter, aber zuerst war ich so stinkwütend. Doch 'dpa‘ will noch mehr wissen: „Sehen Sie politische Gefahren durch rechtsextreme Strömungen in Deutschland?“ Auch das sieht sie differenziert: ...es wiederholt sich nichts. Der Horror vor Hitler und den Konzentrationslagern usw. hat sich herumgesprochen, wozu sie, die Unnachgiebige, gewiß nicht wenig beigetragen hat. Und so erhebt sich mit Bangigkeit die Frage: „Kommen Sie nun mit 80 Jahren zur Ruhe?“ Aber nein: Ich bin eine typische Rebellin. Ich sitze da mit meinen 80 Jahren, habe Erfolg und Geld und könnte sagen: wunderschön, mir geht's herrlich. Meinen Sie, ich hab nur eine Stunde Frieden? Und ich will's auch nicht anders. Spätestens nun zeigt sich, daß ein gewiefter Interviewer in Italien war, so sensibel wie die Junggebliebene selbst: „Sie sind Christin, sind katholisch, der Papst hat nicht weit entfernt seine Sommerresidenz. Spüren Sie die Nähe zu ihm?“ Wenn er da ist, schau ich weg, weil ich ihn nicht leiden kann... Wie wird man, Luise Rinser, so in Würde 80? Man muß mit 30 anfangen, alt zu werden, dann ist es wundervoll. So kommt alles zusammen: Michael Kühnen ist an AIDS verstorben, ‘Liber' endgültig eingegangen, Luise Rinser nunmehr über 80. Wir gratulieren herzlich. es