Achtung Grundwasser!

Immer mehr Grundwasserbrunnen sind mit Pestiziden belastet/ Obwohl über 170 Pflanzengifte im Trinkwasser sein können, werden nur wenige Wirkstoffe getestet  ■ Aus München Karin Mayer

Fast zufällig im Gemeindeblatt gelesen, daß das eigene Trinkwasser verseucht ist. Schon länger, aber jetzt hat man es festgestellt. Klingt nach schlechtem Science fiction, ist es aber nicht.

Anne Gut-Wahl, die in der Gemeinde Pähl etwa 40 Kilometer südlich von München wohnt, erlebte genau das: Der Grenzwert für das hauptsächlich beim Maisanbau verwendete Pestizid Atrazin und dessen Abbauprodukt Desätylatrazin waren um das Dreifache überschritten. Außerdem enthielt das Trinkwasser wesentlich mehr Nitrate, als der Richtwert der EG empfielt. Krebserregend. Mutationen fördernd, für den einjährigen Sohn der Wahls stark belastend, wie man im Landesgesundheitsamt erfährt. Zwar sei die schädigende Wirkung nicht bewiesen, für die gesundheits- und umweltbewußten Wahls aber ist das schlimm genug. Sie stiegen auf Mineralwasser um.

In Bayern sind bei zehn Prozent aller Grundwasserbrunnen die Atrazin-Grenzwerte überschritten, dreißig Prozent der Brunnen sind mit Pestiziden belastet. In anderen Bundesländern sieht das nicht besser aus. Infolgedessen legen die Behörden inzwischen eine gewisse Routine an den Tag. Grenzwertüberschreitungen werden gelassen verwaltet. Wasserwirtschaftsamt, Gesundheitsamt. Landwirtschaftsamt, die Gemeindevertretung und das Landratsamt setzen sich an einen Tisch und beschließen, daß die Grenzwerte für ein Jahr und per Verordnung nicht mehr gelten. Beim Bundesgesundheitsamt klingt das dann so: „Die zuständige Gesundheitsbehörde setzt die Höhe der gesundheitlich unbedenklichen Überschreitung fest.“

In Pähl wurde der Grenzwert für Atrazin von 0,1 Millionstel Gramm auf 3,0 Millionstel Gramm erhöht. Bis zum 31.12.91, dann kann notfalls eine neue Ausnahmegenehmigung beschlossen werden. Anne und Franz Wahl sind darüber mehr als erstaunt: „Wofür braucht man einen Grenzwert, wenn man ihn jederzeit außer Kraft setzen kann?“

Der Grenzwert von 0,1 Millionstel Gramm Atrazin pro Liter im Trinkwasser gilt erst seit dem 1. Oktober 1989. 0,5 Millionstel Gramm Pestizide dürfen maximal im Trinkwasser enthalten sein.

Die EG hatte schon 1982 den Grenzwert festgelegt, den die Bundesrepublik sieben Jahre lang nicht in nationales Recht umsetzte. Die Wasserwerke haben die Zeit nicht genutzt, um sich auf die neue Regelung vorzubereiten.

Rund 6.400 Wasserversorgungen in landwirtschaftlichen Intensivgebieten mußten die Schließung fürchten. Seit dem Oktober 1989 wird in der ganzen Bundesrepublik untersucht — und gefunden. Bundesweite Angaben über die Atrazin-Belastung von Grundwasserbrunnen sind aber schwer erhältlich. Wenden die Länder doch unterschiedliche Untersuchungsmethoden an oder haben verschiedene Kriterien, nach denen untersucht wird. Hans Werner, Referent für Grundwasserschutz beim Bundesamt hat noch keinen Überblick: „Die Länder sind für die Durchführung verantwortlich und da sie unterschiedliche finanzielle Mittel haben, fallen die Untersuchungen auch unterschiedlich umfangreich aus.“ In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurde eifrig gesucht. Heinrich Kalthoff, Abteilungsleiter im Wasserwirtschaftsamt Düsseldorf, läßt schon seit 1987 rund 30 Chemikalien gleichzeitig testen. In über 20 Prozent wurde man fündig: Grenzwerte waren überschritten. Meistens wurde das Problem durch Verdünnungswasser gelöst, sagt Kalthoff. 800 Mark kostet Nordrhein-Westfalen so eine Analyse, wenn sie das Wasserwirtschaftsamt selber durchführt, das Doppelte, wenn es an ein privates Institut vergeben wird. Die Bayern haben sich bei der Untersuchung des Grundwassers für die billigere Methode entschieden und untersuchen das Wasser nur auf 10 bis 15 Pestizide, meist aber nur auf Atrazin und dessen Abbauprodukt. Dabei ist schon die Probe von 30 Chemikalien ein Tropfen auf den heißen Stein: Es gibt über 170 Pflanzengifte, die angewendet werden und prinzipiell im Wasser sein können. Von diesen weiteren Chemikalien spricht vorerst jedoch keiner, weil für 60 Prozent dieser Wirkstoffe die chemischen Nachweisverfahren fehlen.

In Pähl werden die Grenzwerte inzwischen wieder eingehalten. Aus der benachbarten Gemeinde Weilheim werden jeden Tag 400 Kubikliter Verdünnungswasser eingespeist. „Ein besonderer Glücksfall für die Pähler“, meint Hermann Sendl, vom Wasserwirtschaftsamt in Weilheim. Zwischen Pähl und Weilheim gibt es eine Notversorgungsleitung, die vor 15 Jahren gebaut wurde. Damals habe man, so Sendl, allerdings eher an eine bakterielle Verseuchung als an eine chemische gedacht. Ein bis zwei Jahre soll die Notlösung gelten, dann — so hoffen die Behörden — ist das Atrazin und sein Abbauprodukt zerfallen. Niemand weiß aber, ob nicht in den nächsten Jahren noch mehr Desätylatrazin aus dem Boden nachgeschwemmt wird. Der Leiter des Gesundheitsamtes Weinheim jedenfalls hält es für möglich. Das Atrazin-Verbot, das am 1.April nach langem Hin und Her in Kraft getreten ist, ist für ihn keine Lösung: „In ein paar Jahren haben wir den nächsten Stoff im Wasser.“

Die Ämtervertreter geben sich hilflos und fatalistisch: „Mir wäre ja auch lieber, wenn nichts im Wasser wäre. Aber nun ist es einmal drin.“ Eine Antwort, die man von allen Behörden hören kann. Das Landesamt für Landwirtschaft in München fällt da nicht aus der Reihe. So vehement wie Dieter Bege, der stellvertretende Amtsleiter, verteidigt allerdings niemand die gesundheitliche Unbedenklichkeit der Pestizide. Mit haarsträubenden Beispielen von Ratten und Hunden, die Atrazin in unglaublichen Mengen schadlos überlebt haben sollen, geizt er nicht. „Dem einen wird's halt schlecht und dem anderen nicht“, so Dieter Beges Vorstellung vom Atrazin-Genuß. Die Grenzwerte seien so ausgerechnet, daß jeder Mensch ein Leben lang Schadstoffe konsumieren kann, ohne zu erkranken.

Der Pähler Bürgermeister Heinz Widmann: „Ich muß mich da ganz auf die Experten verlassen. Und wenn die sagen, das sei gesundheitlich unbedenklich, was soll ich da machen?“ Anne und Franz Wahl waren der Meinung, er sollte seine Bürger besser informieren. Die Mitteilungen der Gemeinde seien unvollständig und verantwortungslos gewesen.

Mit Informationen geizig war aber nicht nur der Pähler Bürgermeister. Bisher hat die bayerische Staatsregierung keinerlei Informationen über die Trinkwasseruntersuchung veröffentlicht. Die Ergebnisse müßten seit Dezember vorliegen. Ende März reichten die bayerischen Grünen im Landtag eine große Anfrage ein. Die Antwort wird Monate auf sich warten lassen.