: Stattauto—Modell für ein bißchen Auto
Als Alternative zum privaten Pkw erlebt in Berlin eine Initiative zum nachbarschaftlichen Autoteilen einen ungeahnten Boom/ Das Projekt car-sharing greift auch in anderen Städten um sich/ Die drei Berliner Macher suchen eine Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie ■ Von Vera Gaserow
Spaß machen tut es schon lange nicht mehr, das Autofahren auf staugepökelten Straßen. Ökologisch ist es eh eine Riesenschweinerei und ökonomisch rechnet sich die geldfressende Blechbüchse auch nicht. Bei jeder Überweisung an die Autowerkstatt schwört man, daß es nun wirklich die letzte sei, aber beim nächsten TÜV- Termin kämpft man dann doch wieder ums Überleben der rollenden, stinkenden Kiste — zum kompromißlosen Fahrradfahrer ist halt nicht jedeR geboren, und manchmal ist es ja doch ganz bequem, das Auto.
In Berlin bietet jetzt eine private Intiative einen Ausweg aus diesem Dilemma an. „Stattauto“ heißt das inzwischen in eine GmbH umgewandelte Projekt und basiert auf dem Konzept: weg vom privaten Pkw, hin zum nachbarschaftlichen Autoteilen.
Rechnerische Gründe für diese Idee liegen mehr als genug auf der Hand: 30 Prozent aller Autos in der Bundesrepublik fahren nicht mehr als 6.000 Kilometer im Jahr, sind also nicht im entferntesten ausgelastet. 23 Stunden am Tag, so belegen Statistiken, stehen die privaten Pkws ohnehin ungenutzt auf der Straße herum, nehmen öffentlichen Park- und vor allem Lebensraum weg. Warum also nicht einen Verein gründen, in dem jeder nur dann zum Autobesitzer wird, wenn er den Pkw gerade wirklich braucht? Die Idee dazu hatte der Berliner Betriebswirtschaftsstudent Markus Petersen vor rund drei Jahren — nicht ahnend, daß in der Schweiz längst Leute dabei waren, diese Idee in die Praxis umzusetzen. Nicht das Auto an sich, wohl aber der private Besitz dieses so verhätschelten Gegenstandes ist Quatsch, lautete die Grundthese in Petersens Konzept.
Im Rahmen seiner Diplomarbeit über die Theorie des Teilens startete Markus Petersen dazu 1988 einen ersten Feldversuch: Mit zunächst einem Auto gründete er eine Nachbarschaftsinitiative von Autoteilern. Aus dem einen wurden schnell fünf Pkws und inzwischen ist „stattauto, car sharing GmbH“ ein professionell geführtes Unternehmen mit drei hauptamtlichen, mehr schlecht als recht bezahlten Geschäftsführern, den drei Brüdern Markus, Carsten und Oswald Petersen. Und inzwischen hat „Stattauto“ rasanten Zulauf. Das Unternehmen steht zwar noch nicht im Telefonbuch und den gesamten Geschäftsbetrieb wickeln die Gebrüder Petersen von ihren Privatwohnungen aus ab. Doch bei Verkehrskolloquien, Kirchentagen oder Symposien der Autoindustrie gehören die drei Petersens als „Paradiesvögel“ fast schon zum guten Ton. Der Wagenpark ist innerhalb kurzer Zeit auf 17, meist fabrikneue Autos angewachsen. 15 weitere Wagen sind schon „im Anrollen“.
Das erstaunliche am Konzept „Stattauto“ : Das Autoteilen, das im Kleinen für viele Wohngemeinschaften zum permanenten Konfliktfeld gerät, funktioniert im Großen und hat bereits in Bremen und Aachen Nachahmer gefunden. In zahlreichen anderen bundesdeutschen Städten von Hamburg über Kassel bis Heidelberg, sind ähnliche Unternehmen im Aufbau. Einzig in den fünf neuen Bundesländern sind die Versuche bisher entmutigend. Einen ersten Test im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg haben die Stattauto im Herbst letzten Jahres ernüchtert abgebrochen. Trotz intensiver Werbung wollte sich kein einziger Interessent für die Idee des Autoteilens finden.
Dabei schien auch im Westen die Idee des genossenschaftlichen Autoteilens zunächst so wirklichkeitsfremd und simpel, daß einige Mißtrauische an ein Schwindelunternehmen glaubten, als vor drei Jahren die ersten Werbezettel von „Stattauto“ in Kreuzberger Briefkästen lagen: Jedes Stattautomitglied verzichtet auf den Privat-Pkw und wird stattdessen über einen monatlichen Vereinsbeitrag MitnutzerIn einer gemeinschaftlichen Fahrzeugflotte: Die Mitglieder hinterlegen bei ihrem Einstieg eine Kapitaleinlage von 500 Mark und eine Aufnahmegebühr von 50 DM. Für 10 Mark Monatsbeitrag kann man sich dann — wenn nötig — eines der gemeinschaftlichen Autos ausleihen, gegen einen Stundenpreis von 4 Mark und ein zusätzliches Kilometergeld von 25 Pfennig. Nachts gilt ein Mondscheintarif und weibliche Stattauto-Nutzerinnen können das Fahrzeug zwischen 0 und 8 Uhr morgens sogar gratis ausleihen, damit der nächtliche Nachhauseweg von einer der Ausleihstationen erspart bleibt. Wer den Pkw einen ganzen Tag oder für eine Urlaubsfahrt braucht, zahlt rund 30 Mark pro Tag — Preise also, die im Schnitt etwas niedriger liegen als die kommerzieller Autovermietungen und deutlich billiger sind als eine Taxifahrt. Stattauto-Mitglieder, die für eine Einkaufstour, für eine Fahrt ins Grüne oder einen Verwandtenbesuch gern ein Auto hätten, können über eine rund um die Uhr besetzte Buchungszentrale im Kreuzberger Hotel Transit ihre Wünsche anmelden. Und in 90 Prozent der Fälle klappt es dann auch, daß an einer der bisher vier über die Stadt verteilten Ausleihstationen das gewünschte Auto bereitsteht. Aus einem Tresor in der Hauswand bedienen sich die Mitglieder mit dem Schlüssel für das gebuchte Gefährt, tragen Uhrzeit und Kilometerstand in ein Fahrtenbuch ein und düsen los. Zwei Monate später kommt dann die Abrechnung, die, so hoffen die Stattauto-Macher, demnächst mit Hilfe einer Magnet-Karte und einem EDV-System vereinfacht werden soll. Wer bei der jetzt noch auf viel good-will beruhenden handschriftlichen Fahrtenabrechnung trickst, fliegt raus. Der Fall des „Typen, der unbedingt glaubte, im Kofferraum des Stattautos Zement zu mischen“, ist Geschäftsführer Markus Petersen zwar noch „als die absolute Härte“ in schmerzlicher Erinnerung. Insgesamt aber, so konstatieren die Stattauto-Macher, gehen die meisten Kunden mit den meist fabrikneuen Autos recht ordentlich um.
183 Mitglieder zählt Stattauto bisher, die meisten wohnen in der Nähe der vier Ausleihstationen. Längst zählen auch Schlips-und-Kragen- Träger, ehemalige Lancia-Fahrer und „stinknormale“ Hausfrauen zum Mitgliederstamm. Hunderte von Anwärtern stehen auf Oswald Petersens Interessentenliste. Sie würden sofort Mitglied werden, wenn die car-sharer auch in ihrem Stadtteil eine Ausleihstation einrichten würden. Aber daran hapert es, denn für diese Stationen wären Parkplätze nötig und die sind knapp und teuer. Bisher kann Stattauto als Ausleihstationen die Parkplätze zweier Kirchengemeinden nutzen, die das Projekt von Anfang an unterstützten und „überhaupt viel beweglicher und aufgeschlossener sind als der Staat“. Vom Staat will Stattauto zwar keine finanzielle Förderung, denn ein Grundprinzip der car-sharer heißt, daß „die Sache nur läuft, wenn sie sich selber trägt“. Aber Hilfestellung bei Beschaffung der dringend benötigten Parkplätze will man von öffentlicher Seite schon einfordern. Doch da erweisen sich die zuständigen Berliner Senatsstellen bisher als sture Betonköpfe, die das Konzept des Projekts zwar gern über den grünen Klee loben, aber nichts dafür tun.
Da kann Stattauto zehnmal die ökologischen Vorteile seines Konzeptes vorrechnen: Dank des car- sharings kommen jetzt 12 potientielle oder ehemalige Autobesitzer mit nur noch einem Auto aus. Und — so weisen die Fahrtstatistiken aus: Ehemalige Autobesitzer fahren mit dem Stattauto nur noch ein Drittel bis halb soviel wie zuvor. Daß für sämtliche Autos des Wagenparks der Kat obligatorisch ist, versteht sich von selbst. Derzeit macht Stattauto darüberhinaus ein weiteres Experiment: In Zusammenarbeit mit einem Jugendausbildungsprojekt soll in Kreuzberg eine erste mit Sonnenenergie gespeiste Solartankstelle entstehen. Die soll dann unter anderem die zunächst zwei Elektro-Autos von Stattauto mit „Stoff“ versorgen.
Daß das Auto gerade in Deutschland ein extrem libidinös besetzter Gegenstand ist, wissen auch die Stattauto-Macher. Bruder Carsten Petersen flachst zwar vollmundig: „Wir hören erst auf, wenn es keine Privat-Pkws mehr gibt.“ Realistisch gesehen, so schätzen die Berliner carsharer, wären rund 20 bis 25 Prozent der Autobesitzer für ihr Konzept ansprechbar. Von 100 privaten Autos könnten auf diese Weise 20 abgeschafft werden — und das ist immerhin besser als nichts.
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